29. April 2025

Interne Untersuchungen in der Schweiz: Teil I

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Interne Untersuchungen sind aus der heutigen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Wie diese rechtlich einzuordnen sind, ist auch immer eine Frage des Blickwinkels.

  • Filippo Börner

    Junior Legal Associate
  • Marcel Stucky

    Senior Legal Associate
  • Michèle Stutz

    Legal Partner

In einer dreiteiligen Magazinbeitragsserie werden «Interne Untersuchungen in der Schweiz» aus drei verschiedenen Blinkwinkeln rechtlich thematisiert: aus den Blickwinkeln von Whistleblowern (Teil I), der «beschuldigten Person» (Teil II) und der Arbeitgeberin (Teil III).

Teil II und III folgen in den kommenden Wochen. 

Whistleblowing: Kann ich die Einleitung einer internen Untersuchung verlangen?

Unter Whistleblowing versteht man die Meldung von Missständen in einem Unternehmen. Der vorliegende Beitrag geht insbesondere den Fragen nach, inwieweit eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer zur Meldung von Missständen verpflichtet ist, wie eine Meldung rechtlich korrekt erfolgen muss und was bei einer allfälligen internen Untersuchung zu beachten ist.

 

1. Muss ich Missstände melden?

Ja, als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer sind Sie verpflichtet, ihre Arbeitgeberin bezüglich Missstände und Fehlverhalten anderer Mitarbeiter aufzuklären. Diese Pflicht begründet sich in der Treuepflicht gegenüber der Arbeitgeberin (Art. 321a OR). Der Grenzen der Meldepflicht beurteilen sich nach den berechtigten Interessen der Arbeitgeberin. Nach einer in der arbeitsrechtlichen Literatur vertretenen Meinung sind Arbeitnehmer in niedrigeren Positionen nur dann zur Meldung verpflichtet, wenn der eingetretene oder beabsichtigte Schaden unverhältnismässig hoch ist, während leitende Angestellte aufgrund ihrer Vertrauensstellung stets zur Meldung verpflichtet sind.

 

2. Wie kann ich Missstände rechtlich korrekt melden? Kann ich mich an die Öffentlichkeit wenden?

In der Schweiz fehlen klare gesetzliche Regeln, wie Missstände rechtlich korrekt gemeldet werden können. Nach geltendem Recht sollten Missstände zunächst intern an eine geeignete Stelle gemeldet werden, die berechtigt und kompetent ist, den Sachverhalt aufzudecken und zu untersuchen. Dabei kann es sich einerseits um unternehmensinterne Stellen wie die Compliance- oder Rechtsabteilung oder andererseits um externe Stellen wie von der Arbeitgeberin beauftragte Anwaltskanzleien handeln.

Während unter Umständen sogar eine Pflicht besteht, die Arbeitgeberin über Missstände zu informieren, sollte der Gang an die Öffentlichkeit nur im äussersten Fall erfolgen. Bevor ein Gang an die Öffentlichkeit oder an eine Behörde erwogen wird, sollte grundsätzlich zuerst die Arbeitgeberin informiert werden, damit diese die Möglichkeit hat, die Missstände ohne grosses Aufsehen zu beseitigen. Wird die Arbeitgeberin nicht tätig, kann sich der Arbeitnehmer an die zuständige Behörde wenden, die die Missstände ohne Reputationsverlust in der Öffentlichkeit beheben kann. Erst wenn weder die Arbeitgeberin noch die zuständigen Behörden für Abhilfe sorgen und die Schwere der Vorfälle dies rechtfertigt, sollte der Gang an die Öffentlichkeit erwogen werden. In jedem Fall muss die Kritik sachlich und unpolemisch sein.

Die Einhaltung dieses Vorgehen erhöht die Chancen, dass eine Kündigung als Reaktion auf ein Whistleblowing als missbräuchlich erachtet wird, womit die Arbeitgeberin der Arbeitnehmer oder dem Arbeitnehmer eine finanzielle Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen zu zahlen hat. Die Beweislast für eine missbräuchliche Kündigung liegt beim Whistleblower. Es wird daher empfohlen, alle relevanten Informationen und Kommunikationsnachweise sorgfältig aufzubewahren. Weitere Details hierzu finden Sie in unserem Magazinartikel vom 19. November 2020.

3. Besteht ein Anspruch auf Durchführung einer internen Untersuchung? Was sind meine Rechte als Whistleblower im Rahmen einer solchen Untersuchung?

Der Whistleblower hat keinen gesetzlichen Anspruch, dass von ihm gemeldete Vorfälle im Rahmen einer internen Untersuchung abgeklärt werden. Etwas anderes kann aber allenfalls dann gelten, wenn die Arbeitgeberin einen solchen Anspruch in einem Betriebsreglement explizit einräumt bzw. interne Untersuchungen für solche Fälle vorsieht.

Losgelöst davon hat die Arbeitgeberin aus arbeitsrechtlicher Sicht jedoch in bestimmten Fällen aufgrund ihrer Fürsorgepflicht (Art. 328 OR) zum Schutz der übrigen Mitarbeitenden eine entsprechende Pflicht zur Sachverhaltsabklärung, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für Mobbing, Belästigung oder ein anderes unangemessenes Verhalten gegenüber einem Mitarbeitenden zugetragen erhalten hat.

Entscheidet sich die Arbeitgeberin aufgrund eines internen Whistleblowings zu einer internen Untersuchung, sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Ausfluss ihrer Treuepflicht (Art. 321a OR) verpflichtet, wahrheitsgetreu, vollständig und rechtzeitig Auskunft zu geben. Das gilt auch für den Whistleblower. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann dem Whistleblower zugesichert werden, seine Identität vertraulich zu behandeln (BGer 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024, E. 4.4.3). Gerade in überschaubaren Verhältnissen (beispielsweise bei einem Team von sehr wenigen Mitarbeitern) kann diese Zusicherung jedoch nicht immer verhindern, dass die beschuldigte Person Kenntnis von der Identität des Whistleblowers erhält. Von einer Gegenüberstellung im eigentlichen Sinne, bei welcher der Whistleblower in Anwesenheit der beschuldigten Person befragt wird, ist abzusehen, da dies zu weit gehen würde.

4. Fazit: Im Zweifelsfalle den Vorfall oder Missstand intern melden

Als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer haben Sie die Pflicht, Ihre Arbeitgeberin über Missstände und Fehlverhalten von Kollegen zu informieren. Missstände sind zunächst intern an eine geeignete interne Meldestelle zu melden, die befugt und kompetent ist, den gemeldeten Sachverhalt aufzudecken und zu untersuchen (z.B. Compliance- oder Rechtsabteilung). Ein Gang an die Öffentlichkeit sollte nur im äussersten Fall als ultima ratio in Betracht gezogen werden.

Gleichzeitig hat man als Whistleblower in den meisten Fällen kein Anspruch, dass die Arbeitgeberin eine interne Untersuchung durchführt. Dabei kommt es aber immer auf die konkreten, von der Arbeitgeberin aufgestellten Rahmenbedingungen an. Es empfiehlt sich, sich mit diesen Rahmenbedingungen vertraut zu machen.

Gerne beraten wir Sie als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer bei der korrekten Meldung von Missständen am Arbeitsplatz und vertreten Sie in damit zusammenhängenden Gerichtsverfahren.

 

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