22. September 2025

Ferienkürzung – Rechtliche Grundlagen, Voraussetzungen und Berechnung

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Arbeitnehmer planen ihre Ferien oftmals frühzeitig und versuchen unter Verwendung von Feier- und Brückentagen das Maximum aus ihrem jährlichen Feriensaldo herauszuholen. Vielen Arbeitnehmern, aber auch Arbeitgebern, ist jedoch nicht bewusst, dass unter gewissen Voraussetzungen auch eine Kürzung des Feriensaldos möglich ist.

  • Dr. Roman Cincelli

    Senior Legal Associate

Ferienanspruch – Grundsatz: Ohne Arbeit keine Ferien

Das Gesetz gesteht jedem Arbeitnehmer mindestens 4 Wochen Ferien pro Dienstjahr zu (Art. 329a OR). Nicht selten gewähren Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern auch fünf oder mehr Wochen Ferien im Dienstjahr. Dabei wächst der Ferienanspruch im Verhältnis zur geleisteten Arbeit an. Bei vier Wochen Ferien wächst der Ferienanspruch um 1,67 Tage pro Monat. Bei fünf Wochen Ferien wächst der Ferienanspruch um 2,08 Tage und bei sechs Wochen Ferien entsprechend um 2,5 Tage pro Monat.

Das Schweizer Arbeitsrecht geht indes vom Grundsatz «ohne Arbeit keine Ferien» aus, weshalb der Ferienanspruch grundsätzlich nicht anwächst, wenn keine Arbeit erfolgt. Dieser Grundsatz gilt aber nicht absolut und das Gesetz kennt gewisse Einschränkungen. So weicht das Gesetz insbesondere in Art. 329b OR vom genannten Grundsatz ab und schränkt die Ferienkürzung ein.

Ferienkürzung – Rechtliche Grundlage (Art. 329b OR)

a) Verschuldete Arbeitsverhinderung (Art. 329b Abs. 1 OR)
Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsverhinderung verschuldet und beträgt diese insgesamt einen vollen Arbeitsmonat, kann der Ferienanspruch um einen Zwölftel gekürzt werden. Dabei ist pro vollem Abwesenheitsmonat eine Kürzung von einem Zwölftel zulässig. Ist der Arbeitnehmer somit 1,5 Monate verschuldet an seiner Arbeitsleistung verhindert, so kann sein jährlicher Ferienanspruch um einen Zwölftel gekürzt werden. Beträgt die verschuldete Abwesenheit 3,5 Monate, kann der Ferienanspruch um drei Zwölftel gekürzt werden. Beträgt die verschuldete Abwesenheit weniger als einen Monat, darf der Ferienanspruch indes nicht gekürzt werden.

Damit von einer verschuldeten Arbeitsverhinderung gesprochen werden kann, muss es sich um ein offensichtliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers handeln respektive muss ein schweres Verschulden vorliegen. Ein leichtes Verschulden reicht hierzu nicht aus. Im Streitfall trägt jedoch der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass er die von ihm erwartete Sorgfalt an den Tag gelegt hat.

b) Unverschuldete Arbeitsverhinderung (Art. 329b Abs. 2 OR)
Eine unverschuldete Arbeitsverhinderung liegt vor, wenn der Mitarbeitende aufgrund von Umständen arbeitsunfähig wird, die in seiner Person liegen, die er oder sie aber nicht beeinflussen kann. In der Regel ist bei Krankheit und Unfall von einer unverschuldeten Arbeitsverhinderung auszugehen, wobei im Einzelfall zu beurteilen ist, ob die Krankheit oder der Unfall nicht vom Arbeitnehmer durch ein offensichtliches Fehlverhalten verschuldet wurde. Auch bei der Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes liegt grundsätzlich eine unverschuldete Arbeitsverhinderung vor.

Bei einer unverschuldeten Arbeitsverhinderung gewährt das Gesetz dem Arbeitnehmer eine absolute Karenzfrist (Schonfrist) für den ersten vollen Abwesenheitsmonat. Eine Ferienkürzung von einem Zwölftel ist somit erst ab dem zweiten vollen Abwesenheitsmonat zulässig. Anschliessend kann für jeden weiteren vollen Abwesenheitsmonat eine Kürzung um einen Zwölftel vorgenommen werden. Ist ein Arbeitnehmer beispielsweise während insgesamt 1,5 Monaten unverschuldet von der Arbeit verhindert, dürfen die Ferien nicht gekürzt werden. Ist der Arbeitnehmer 2,5 Monate unverschuldet krank, darf um einen Zwölftel gekürzt werden.

c) Schwangerschaft (Art. 329b Abs. 3 OR)
Bei einer schwangerschaftsbedingten Arbeitsverhinderung gestaltet sich die Rechtslage noch grosszügiger. Es wird der betroffenen Arbeitnehmerin eine absolute Karenzfrist für die ersten zwei vollen Abwesenheitsmonate zugestanden. Der Arbeitgeber darf die Ferien folglich erst ab dem dritten vollen Abwesenheitsmonat um einen Zwölftel kürzen. Anschliessend kann eine Kürzung von einem Zwölftel für jeden vollen Abwesenheitsmonat vorgenommen werden.

d) Überblick
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über den Umfang der möglichen Ferienkürzungen nach Art. 329b OR:

Tabelle

Berechnungsgrundlagen der Ferienkürzung

Für die Ferienkürzung nach Art. 329b OR wird auf volle Monate der Abwesenheit abgestellt. Dabei sind nicht die konkreten Kalendermonate von Relevanz, sondern es werden Arbeitsmonate berücksichtigt, da eine Ferienkürzung eine Arbeitsverhinderung voraussetzt, welche nur an Arbeitstagen möglich ist. Weil nicht jeder Arbeitsmonat gleich viele Tage hat, wird aus Praktikabilitätsgründen für die Berechnung auf einen Durchschnittsmonat abgestellt, welchem 21,75 Tage zugerechnet werden. Beträgt die Arbeitsverhinderung somit 21,75 Tage, liegt ein voller Abwesenheitsmonat vor.

Das Gesetz spricht in Art. 329b OR ausdrücklich davon, dass bezüglich der Berechnung von Ferienkürzungen auf das Dienstjahr, und nicht auf das Kalenderjahr, abzustellen ist. So beginnt in jedem neuen Dienstjahr die Karenzfrist von neuem zu laufen. In der Praxis bedeutet dies, dass für jeden Arbeitnehmer am Jahrestag seines Stellenantritts eine neue, individuelle Karenzfrist zu laufen beginnt. Der Einfachheit halber stellen deshalb viele Arbeitgeber auf das Kalenderjahr ab, was zur Gültigkeit jedoch in den Arbeitsverträgen respektive in einem Personalreglement vermerkt werden muss.

Einzelfragen zur Ferienkürzung

a) Kumulation einzelner Arbeitsverhinderungen?
Die Arbeitsverhinderung muss nicht am Stück erfolgen. Vielmehr werden die Arbeitsverhinderungen über das Dienstjahr hinweg zusammengezählt, wobei auch einzelne Tage und Halbtage berücksichtigt werden können. Es findet somit eine Kumulation der Arbeitsverhinderungen in einem Dienstjahr statt.

b) Kumulation einzelner Schonfristen?
Ist ein Arbeitnehmer aus mehreren Gründen an der Arbeit verhindert, findet nur die längere Karenzfrist Anwendung. Fehlt beispielsweise eine Arbeitnehmerin wegen unverschuldeter Krankheit sowie Schwangerschaft, so wird die einmonatige Karenzfrist infolge unverschuldeter Arbeitsverhinderung nicht mit der zweimonatigen Karenzfrist für schwangerschaftsbedingte Arbeitsverhinderungen kumuliert und es gilt nur die längere, zweimonatige Karenzfrist. Entsprechend werden in einem solchen Fall aber auch sämtliche Fehltage, namentlich auch die nicht schwangerschaftsbedingten Fehltage, angerechnet.

c) Kürzung bei Teilarbeitsunfähigkeit?
Die Kürzung des Ferienanspruchs ist auch bei teilweiser Arbeitsverhinderung möglich, auch wenn die Berechnung hierbei etwas komplizierter ist. Ist ein Arbeitnehmer nur teilweise arbeitsunfähig, muss die effektive Dauer der Arbeitsverhinderung berücksichtigt werden. Ist ein Arbeitnehmer nach einem unverschuldeten Unfall beispielsweise zu 50% arbeitsunfähig, dauert es doppelt so lange, bis die Karenzfrist ausgeschöpft ist. Die Kürzung des Ferienanspruchs erfolgt somit erst nach vier Monaten der Arbeitsverhinderung, kann dann aber um einen vollen Zwölftel pro vollem Abwesenheitsmonat vorgenommen werden.

d) Abweichende Regelungen im Arbeitsvertrag oder Personalreglement?
Grundsätzlich ist es zulässig im Arbeitsvertrag oder im Personalreglement abweichende Regelungen von der gesetzlichen Ferienkürzung in Art. 329b OR zu treffen. Eine abweichende Regelung hinsichtlich unverschuldeter Arbeitsverhinderungen (Art. 329b Abs. 2 OR) und schwangerschaftsbedingter Arbeitsverhinderungen (Art. 329b Abs. 3 OR) muss jedoch für den Arbeitnehmer günstiger sein, da es sich hierbei um relativ zwingende Gesetzesbestimmungen handelt. Für die verschuldete Arbeitsverhinderung (Art. 329b Abs. 1 OR) sind auch ungünstigere Bestimmungen für den Arbeitnehmer zulässig, da es sich hierbei um eine dispositive Bestimmung handelt.

e) Pflicht des Arbeitgebers zur Ferienkürzung?
Bei der Ferienkürzung handelt es sich um keine Pflicht, sondern um ein Recht des Arbeitgebers, auf welches verzichtet werden kann. Ein solcher Verzicht findet in der Praxis vielfach konkludent statt, indem der Arbeitgeber die nicht bezogenen Ferientage ungekürzt auf das Folgejahr überträgt, was mitunter auch aus der Lohnabrechnung oder internen Zeiterfassungssystemen ersichtlich wird.


Unser MME Arbeitsrechtsteam unterstützt Sie gerne bei Fragen rund um das Thema Ferien und Ferienkürzung.

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