Survey Reports spielen im Transportwesen eine zentrale Rolle. Was bringt ihre neue Einordnung als Urkunde im Zivilprozess? Der Beitrag beleuchtet die praktischen Folgen.
Wo Güter transportiert und gelagert werden, können Schäden entstehen. Die Parteien haben häufig ein Interesse daran, möglichst rasch ein Gutachten zu erstellen, um die Schäden sowie deren mögliche Ursache möglichst genau und umfassend dokumentieren zu können: Sei es aufgrund des Umstandes, dass der Lagerhalter die Ware rasch aus seinem Lager entfernt haben möchte, oder aufgrund der Verderblichkeit der Ware.
Diesem praktischen Bedürfnis tragen die von Havariekommissaren im Auftrag der Parteien verfassten Survey Reports Rechnung und schliessen damit eine Lücke, welche gerichtliche Gutachten nicht auszufüllen vermögen: Das Schweizer Recht kennt zwar das vorsorgliche Beweisführungsverfahren nach Art. 158 der Schweizer Zivilprozessordnung («ZPO»), welches im Vergleich zum ordentlichen Verfahren einen verhältnismässig raschen Erhalt eines gerichtlichen Gutachtens ermöglicht. Aber auch dieses Verfahren ist im Vergleich zu den Survey Reports langwieriger. Hinzu kommt, dass Transportfälle regelmässig einen internationalen Bezug aufweisen, d.h. Parteien und Güter können in unterschiedlichen Jurisdiktionen sein. Wenn die Parteien bspw. eine Gerichtsstandklausel zugunsten Schweizer Gerichte vereinbart haben, besteht zwar auch für das vorsorgliche Beweisführungsverfahren eine Zuständigkeit in der Schweiz. Ob es aber der Sache dienlich ist, wenn das betroffene Gut seinen Belegenheitsort gar nicht in der Schweiz, sondern im Ausland hat, ist jedoch fraglich. Notgedrungen sind damit Kompromisse unumgänglich, was den zeitnahen Erhalt eines gerichtlichen Gutachtens anbelangt.
Die Beauftragung eines Havariekommissars dürfte häufig auch dadurch motiviert sein, dass der Survey Report in einem etwaigen späteren Gerichtsverfahren den eigenen Standpunkt untermauern soll – weil er von einem unabhängigen Sachverständigen verfasst wurde und insofern ein hoher Stellenwert hat.
Im Geltungsbereich der alten ZPO war dies häufig jedoch ein Trugschluss: Sofern der Survey Report von einer Partei selbst in Auftrag gegeben wurde, handelte es sich um sog. Privatgutachten. Privatgutachten waren keine Urkunden und in der abschliessenden Liste von Beweismitteln (aArt. 168 Abs. 1 ZPO) nicht enthalten. Dementsprechend galten sie auch nicht als Beweismittel, welche vom Gericht gewürdigt werden konnten. Parteigutachten stellten demnach reine (wenn auch substantiierte) Parteibehauptungen dar. Die praktische Relevanz dieser Qualifizierung zeigte sich daran, dass Privatgutachten wie Survey Reports den Beweis für bestimmte Tatsachenbehauptungen nicht erbringen konnten, wenn die Gegenpartei diese substantiiert bestritt.
Der Vorteil eines Survey Reports erschöpfte sich somit meist darin, dass die Parteien die im Survey Report enthaltenen Tatsachen entsprechend substantiiert behaupten konnten. Ein erhöhter Stellenwert bzw. ein Beweiswert konnte solchen Reports in einem Zivilverfahren im Regelfall aber nicht beigemessen werden.
Die Qualifikation von Parteigutachten als reine Parteibehauptungen war in der Lehre immer wieder kritisiert worden, zu Recht: Gerade im Transportrecht trägt diese Qualifikation der praktischen Bedeutung von solchen Survey Reports zu wenig Rechnung.
Der Gesetzgeber hat diese Kritik in der Revision der ZPO vom 17. März 2023 aufgenommen. Diese Revision trat am 1. Januar 2025 in Kraft und gilt auch für sämtliche am 1. Januar 2025 bereits hängigen Verfahren (Art. 407f ZPO).
Gemäss der neuen Regelung gelten Privatgutachten neu als Urkunden im Sinne von Art. 177 ZPO und werden dementsprechend bei der Beweiswürdigung berücksichtigt.
Diese neue Regelung ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Die Frage bleibt aber, ob diese Qualifikation als Urkunde die bisherigen Unzulänglichkeiten effektiv beseitigt.
Zweifel sind angebracht: Das Privatgutachten ist zwar neu eine Urkunde. Dessen Beweiswert ist jedoch nach wie vor nicht vergleichbar mit einem Schiedsgutachten (hierzu sogleich) oder gerichtlichen Gutachten. Dies ist auch gerechtfertigt, da es an der Unabhängigkeit fehlt, wenn eine Partei die Erstellung eines Survey Reports in Auftrag gibt. Im Unterschied dazu muss ein gerichtlich bestellter Gutachter unabhängig sein, und dieser unterliegt der Strafandrohung, die ihn zur wahrheitsgemässen Begutachtung verpflichtet.
In der Lehre wird postuliert, dass sich die Parteien möglichst nahe an den ZPO-Bestimmungen betreffend die Erstellung von Gerichtsgutachten orientieren sollten, um den Beweiswert des entsprechenden Parteigutachtens zu erhöhen.
Diese Auffassung überzeugt sicher, ändert unseres Erachtens aber nichts daran, dass Privatgutachten auch nach der neuen ZPO mit Unsicherheiten behaftet sind, was ihre Würdigung anbelangt. Naturgemäss sind Gerichtsprozesse häufig Verfahren mit offenem Ausgang. In Anbetracht der mit der Erstellung von Parteigutachten einhergehenden Kosten stellt sich aber zumindest die Frage, ob es nicht Alternativen gibt, welche den Beizug der Expertise von Havariekommissaren innert dienlicher Frist ermöglichen, ohne aber Kompromisse in Bezug auf den Beweiswert der von ihnen verfassten Survey Reports eingehen zu müssen.
Gerichtliche Gutachten dürften häufig zu spät oder nicht leicht zu beschaffen sein. Eine valable Alternative hierzu und zu Parteigutachten sind Schiedsgutachten.
Im Unterschied zum Privatgutachten hält ein Schiedsgutachten die rechtserheblichen Tatsachen für beide Parteien verbindlich fest. Diese sind auch für das Gericht verbindlich und seiner Beweiswürdigung entzogen, sofern (i) die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen können (was in Transportrechtsfällen regelmässig der Fall sein dürfte), (ii) gegen den Gutachter kein Ausstandsgrund vorliegt und (iii) das Schiedsgutachten ohne Bevorzugung einer Partei erstellt wurde und nicht offensichtlich unrichtig ist (Art. 189 Abs. 3 ZPO).
Schiedsgutachten können das erreichen, was Survey Reports im Sinne von Parteigutachten im Regelfall nicht zu erreichen vermögen: Die Tatsachen verbindlich festzustellen, womit die Unklarheiten bezüglich der Beweiswürdigung ausgeräumt werden können.
Dabei ist aber zu beachten, dass die blosse aussergerichtliche Einigung der Parteien, gemeinsam einen Gutachter zu beauftragen und die Kosten hälftig zu teilen, für die Annahme eines Schiedsgutachtens nicht genügen. Das gilt auch für sog. kontradiktorische Gutachten, welche im internationalen Verkehr häufig anzutreffen sind. Dieses bedeutet, dass beide Seiten (also Haftpflichtversicherer/Frachtführer/Lagerhalter bzw. Sachversicherer/ladungsinteressierte Partei) an einem Besichtigungstermin eingeladen werden und teilnehmen. Erforderlich ist vielmehr, dass der gemeinsame Wille der Parteien nachwiesen werden kann, die Feststellung des Schiedsgutachtens als verbindlich anzuerkennen.
Der Abschluss einer Schiedsvereinbarung ist daher unabdingbar. Dies kann bei Auftreten des Schadensfalls erfolgen oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt..
Die Neuerung der ZPO hat insofern einen Mehrwert gebracht, als Parteigutachten neu als Beweismittel gelten und in die Beweiswürdigung miteinzubeziehen sind.
Ihr Beweiswert bleibt aber unter dem eines gerichtlichen Gutachten oder Schiedsgutachtens. Gerade Letztere sind unserer Auffassung nach ein probates Mittel, um die Unsicherheit in Bezug auf die Würdigung von Parteigutachten zumindest teilweise einzugrenzen.
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