13. November 2025

Von der Landesversorgung zur Qualitätsflagge: Die Maritime Strategie 2023–2027 der Schweiz

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Ja, auch die Schweiz als Binnenland verfügt über eine maritime Strategie – und zwar zu Recht. Wo liegen die Ursprünge der Schweizer Flagge und welche Strategie wird die Schweiz in Zukunft verfolgen? Der untenstehende Magazinbeitrag nimmt Sie mit auf eine Zeitreise und zeigt auf, wohin die Reise führen könnte.

  • Raphael Brunner

    Legal Partner
  • Marcel Stucky

    Senior Legal Associate

Weshalb soll die Schweiz als Binnenland überhaupt eine maritime Strategie haben? Die Schweiz ist zwar ein Binnenland, ist aber über seine Flüsse mit drei Meeresregionen verbunden. Die Schweizer Wirtschaft ist global ausgerichtet und entsprechend vom internationalen Warenaustausch abhängig, wovon 90% zumindest teilweise auf dem Seeweg erfolgt. Hinzu kommt, dass die Schweizer Wirtschaft zu den Top 25 ship-owning economies gehört. Berücksichtigt man ferner, dass mit diesem Wirtschaftszweig Logistikunternehmen, der auf dem maritimen Sektor aufbauende weltweit äusserst bedeutungsvolle Schweizer Rohstoffhandel und die Finanzbranche zusammenhängen, ist die Schweiz alles andere als ein kleiner Player.

Bei genauer Betrachtung kann es sich die Schweiz also gar nicht leisten, keine maritime Strategie zu haben – eine splendid isolation gibt es schlichtweg nicht. Der vorliegende Beitrag blickt zurück auf die Anfänge der maritimen Strategie der Schweiz und zeichnet die Entwicklungen bis in die heutige Gegenwart nach.

1. Die Schweizer Hochseeschiffsflotte im Zeichen der Landesversorgung

Im Zweiten Weltkrieg geriet die Schweiz in eine versorgungswirtschaftliche Notsituation. Die Märkte waren abgeschottet. Die Schweiz reagierte, indem sie eine Anbauschlacht zur Sicherung der Ernährung ausrief und sie ging auch dazu über, mit der Calanda erstmals ein Hochseeschiff unter Schweizer Flagge zu stellen, welches fortan die Weltmeere befahren sollte.

Während die Anbauschlacht nach dem Zweiten Weltkrieg nicht weitergeführt wurde, blieb das Institut der Schweizer Flagge erhalten. Die Nachkriegsregelung bestand darin, dass die unter Schweizer Flagge fahrenden Hochseeschiffe im Eigentum privater Reedereien standen und von diesen betrieben wurden. In versorgungswirtschaftlichen Notsituationen hatte der Bund das Recht, diese Schiffe zu chartern («Zwangscharter») und zur Aufrechterhaltung der Landesversorgung einzusetzen. Von diesem Recht hat der Bund zuletzt und einmalig während des Sechstagekrieges vor rund 60 Jahren Gebrauch gemacht. Um einen gewissen Bestand von Schweizer Hochseeschiffen für solche Situationen sicherzustellen, gewährte die Schweiz attraktive Bürgschaften an entsprechende Reedereien.

Anfang der 2010er Jahren setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass ein Systemwandel erforderlich ist. Die Bürgschaften waren mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden, welche die Schweiz nicht mehr verantworten wollte. Zudem wurde der Rolle der Hochseeflotte für den Krisenfall nicht mehr dieselbe Bedeutung beigemessen, zumal die Fähigkeit oder der Wille der Schweiz, solche Schiffe in einem Krisenfall auch militärisch zu verteidigen, mit erheblichen Fragezeichen verbunden war.

Aus all diesen Gründen entschied die Schweiz Mitte 2017, die finanzielle Förderung privater Reedereien, deren Hochseeschiffe unter Schweizer Flagge fahren, einzustellen. Bis die letzte Bürgschaft abgelaufen ist und dieses Kapitel der Schweizer Geschichte endgültig abgeschlossen werden kann, wird es noch bis 2032 dauern.

2. Der Systemwechsel: Die Maritime Strategie 2023 – 2027

Dieser Entscheid hat dazu geführt, dass die Zahl unter Schweizer Flagge fahrender Schiffe fortwährend abgenommen hat. Der Schweizer Flagge droht das Aus.

Eine Rückkehr zum bisherigen System ist ausgeschlossen. Der Bundesrat hat aber entschieden, Gegensteuer zu geben, um die Schweizer Flagge zu erhalten. Wohin die Reise führen soll, hat er am 2. Juni 2023 in seiner Maritimen Strategie 2023 – 2027 skizziert.

Ein Ziel ist es, die auf die Landesversorgung konzipierte Schweizer Flagge zu einer international attraktiven und wettbewerbsfähigen Qualitätsflagge auszubauen. Mit einer solchen Qualitätsflagge wird nicht zuletzt auch die internationale Sichtbarkeit des maritimen Standorts der Schweiz erhöht und die Vorteile dieses Standorts entsprechend hervorgehoben: die politische Stabilität und Neutralität der Schweiz, stabile Währung, zentrale Lage in Europa, aber global ausgerichtete Wirtschaft etc.

Zu diesem Zweck steht auf Gesetzgebungsebene eine Flurbereinigung an. Konkret hat die Schweiz Anfang 2025 die sehr strengen, noch auf die Landesversorgung ausgerichteten Vorschriften in der Seeschifffahrtsverordnung für die Registrierung von Seeschiffen erheblich gelockert:

  • Die bisherigen Auflagen betreffend die Nationalität der Eigentümer, der wirtschaftlich Berechtigten sowie der Verwaltung und Geschäftsführung wurden aufgehoben.
  • Neu dürften Reedereien wie andere Schweizer Unternehmen ohne entsprechende Auflagen mehrheitlich fremdfinanziert werden.

Ebenfalls wurden die Registrierungsanforderungen für Vergnügungsschiffe in der Jachtenverordnung gelockert. Insbesondere können nun beinahe alle juristischen Personen Jachten registrieren (und nicht nur Vereine).

Durch die derzeit noch laufende Revision des Seeschifffahrtgesetztes sollen weitere Überbleibsel des bisherigen Systems entfernt werden, die eine Positionierung der Schweizer Flagge auf globaler Ebene erschweren.

Die Maritime Strategie geht aber weit über die Stärkung der Schweizer Flagge hinaus. Sie umfasst auch Standortmassnahmen wie die Digitalisierung von Behördenprozessen, forschungs- und innovationspolitische Initiativen etwa zur Dekarbonisierung sowie den Aufbau maritimer Ausbildungsmöglichkeiten. Zudem will die Schweiz ihre Rolle in der internationalen Schifffahrtsdiplomatie und im Seerecht ausbauen. Damit verfolgt der Bundesrat eine umfassende maritime Standortpolitik, die rechtliche, steuerliche, administrative und diplomatische Faktoren bündelt.

Ein anderes Ziel dieser Strategie ist es, die steuerlichen Wettbewerbsnachteile der Schweiz auszugleichen. Ein international akzeptiertes Förderinstrument ist die sogenannte Tonnage Tax oder Tonnagesteuer auf Seeschiffen. Damit können Reedereien pauschal nach Ladekapazität und nicht mehr gemessen an den Unternehmensgewinnen besteuert werden. Auf dieses Instrument setzt unter anderem die Europäische Union und auch Bundesrat hat sich in seiner Strategie für dieses Instrument ausgesprochen, um die Nachteile von Schweizer Reedereien gegenüber ihren europäischen Konkurrenten auszugleichen.

Das Schweizer Parlament ist diesem Vorschlag indes nicht gefolgt. Ausschlaggebend für die Ablehnung waren nebst verfassungsrechtlichen Bedenken auch Unklarheiten in Bezug auf die finanziellen Auswirkungen der Einführung der Tonnagesteuer auf die Bundesfinanzen. Am grundsätzlichen strategischen Entscheid, auch die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, um Anreize für eine in der Schweiz betriebene Hochseeschifffahrt zu schaffen, hält der Bundesrat aber fest und prüft Alternativen zur Tonnagesteuer.

3. Ausblick

Die erfolgten Anpassungen der SSV und JV markieren einen Paradigmenwechsel in der Schweizer Seeschifffahrtspolitik. Mit den in Kraft getretenen Liberalisierungen ist ein erster, wichtiger Schritt getan, um die Schweizer Flagge zu modernisieren und vom Ballast überholter versorgungspolitischer Vorgaben zu befreien. In einem zweiten Schritt ist die geplante grundlegende Revision des SSG jedoch unerlässlich, um die Schweizer Flagge ins 21. Jahrhundert zu bringen.

In den kommenden Jahren wird sich entscheiden, ob die Bemühungen der Schweiz im Rahmen der neuen maritimen Strategie genügen, um der Flagge neue Attraktivität zu verleihen und die eigene Handelsflotte auf den Weltmeeren zu erhalten – doch unbestritten ist: Mit ihrer maritimen Industrie und ihrem Rohstoffhandel wird sie weiterhin als stiller, aber gewichtiger Akteur der Schifffahrt präsent bleiben.

Mehr Informationen finden Sie in unserem Zeitschriftenbeitrag, welcher in der Recht der Transportwirtschaft-Ausgabe vom Oktober 2025 erschienen ist. Gerne beraten wir Sie zu den rechtlichen und strategischen Fragen rund um die Schweizer Flagge.

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