15. August 2023

Klimaklagen, Greenwashing und Bluewashing: Jüngste ESG-Klagen und Verfahren in der Schweiz – Konsequenzen für Management und Verwaltungsrat

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Auch in der Schweiz mehren sich Gerichtsverfahren, die einen ESG-Hintergrund haben. Unternehmen und der Staat geraten selbst ins Fadenkreuz von NGOs. Verwaltungsrat und Management stehen in der Pflicht.

1. Greenwashing

1.1 Klage gegen Unternehmen

Klagen im Zusammenhang mit Greenwashing oder Climate-washing (vgl. dazu finden Sie hier) sind im Trend. Es geht in diesen Fällen um die falsche Darstellung von Regierungen oder Unternehmen hinsichtlich ihrer Beiträge zum Übergang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft. Die Fälle können irreführende Behauptungen betreffen, dass Produkte oder Dienstleistungen klimafreundlicher sind, als sie tatsächlich sind. In diesen Fällen geht es zunehmend um Behauptungen zu Begriffen wie "netto null", "klimaneutral" und "abholzungsfrei". Sie können auch das Ausmass betreffen, in welchen Fehlinformationskampagnen oder das Versäumnis, bekannte Risiken offenzulegen, zu den durch den Klimawandel verursachten Schäden beigetragen haben. Jüngste Beispiele: Verbraucherzentrale Baden-Württemberg v. DWS; Church of England Pensions Board und andere gegen Volkswagen AG; Klima-Allianz Schweiz vs. FIFA. Es fällt auf, dass die Klägerinnen allesamt NGOs sind.

Beim Fall Klima-Allianz vs. FIFA handelt es sich nicht um ein Verfahren vor einem staatlichen Gericht, sondern um ein Beschwerdeverfahren bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission. Unterstützt wurde die Klima-Allianz vom Verein Avocat-e-s pour le Climat. Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK) ist die neutrale, unabhängige Institution der Kommunikationsbranche zum Zweck der werblichen Selbstkontrolle, mithin eine Selbstregulierungsorganisation. Die Lauterkeitskommission hat eine Beschwerde gegen die FIFA gutgeheissen, weil die FIFA die Fussball-WM 2022 in Katar als klimaneutral bezeichnet hat («CO2-neutrale Weltmeisterschaft»), im Verfahren aber nicht bewiesen hat, dass dies tatsächlich der Fall war, obwohl sie die Beweislast für ihre Aussagen trägt («Les auteurs de la publicité doivent être en mesure d’apporter la preuve de leurs assertions publicitaires»). Zudem sei unklar geblieben, ob die Kompensationsmassnahmen den Schweizer Standards entsprechen (z.B. vollständige und nachhaltige Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre) (En outre, la question demeure peu claire de savoir si les mesures compensatoires sont conformes aux standards suisses (p. ex. retrait intégral et durable du CO2 de l’atmosphère). Die Lauterkeitskommission stellte hohe Anforderungen an das Werben mit Klimaneutralität. Tatsachenbehauptungen müssen von Gesetzes wegen richtig und dürfen nicht irreführend sein (Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG). Es muss ein strenger Massstab gelten, wenn es darum geht, die Richtigkeit von Umweltbehauptungen zu beweisen. Die SLK hält sich dabei an die entsprechenden Vorgaben des Marketing- und Werbekodex der International Chamber of Commerce ICC. (Kapitel D des ICC Kodex: Werbung und Marketing mit Umweltbezug, sehen Sie hier).

Auch den Oberengadiner Bergbahnen wird Greenwashing vorgeworfen. Seit der Wintersaison 2022/2023 fahren in den Skigebieten der Oberengadiner Bergbahnen alle Dieselfahrzeuge, alle Baumaschinen, die 36 Pistenfahrzeuge und die 65 Dienstfahrzeuge mit GTL (Gas-to-Liquids) Fuel Alpine. Dieser sei, so behaupte die Engadin St. Moritz Mountains AG, CO2-neutral und ermögliche somit CO2-neutralen Schneesport. Die Stiftung Konsumentenschutz ist auf den Fall aufmerksam geworden und reichte beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Beschwerde gegen die Engadin St. Moritz Mountains AG ein wegen unlauterer Geschäftspraktiken. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat daraufhin die Bergbahnbetreiberin Engadin St. Moritz Mountains AG wegen der Werbung für «klimaneutralen» Schneesport vom letzten Winter in einem Brief gerügt. Das Seco erachtete das Versprechen als unlauter und forderte die Betreiberin in einem Brief auf, die Aussage zu ändern (Quelle: www.nau.ch; SRF).

1.2 Greenwashing in der Finanzindustrie

In der Finanzindustrie sind nachhaltige Finanzprodukte im Trend. Eine Marktumfrage von Swiss Sustainable Finance (SSF) zeigt, dass das Volumen von grünen Anlagen in den letzten beiden Jahren um 30% gewachsen ist. Die Verlockung für Finanzdienstleister ist entsprechend gross, ihre Finanzprodukte grüner aussehen zu lassen als sie sind. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) hat daher das Thema Greenwashing schon länger auf dem Radar und veröffentlichte 2021 eine Aufsichtsmitteilung zur Prävention und Bekämpfung von Greenwashing, die den Fondsbereich sowie die Verhaltenspflichten am "Point of Sale" zum Gegenstand hat. Derweilen definiert die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) den Begriff “Greenwashing” als den Akt bewusster oder unbewusster Täuschung der Anleger oder Kundschaft über nachhaltige Eigenschaften («grün», «nachhaltig» und «ESG») von Finanzprodukten und -dienstleistungen. Anleger und Kundinnen dürfen nicht über die nachhaltigen Eigenschaften von Finanzprodukten getäuscht werden. Mangels spezifischer gesetzlicher Grundlagen zur Nachhaltigkeit von Finanzprodukten und Finanzdienstleistungen wird die FINMA nur in offensichtlichen Täuschungsfällen aktiv, setzt dann aber alle zur Verfügung stehenden Aufsichtsinstrumente ein (Vor-Ort-Kontrollen bei Instituten, Fondsanalysen oder Aufsichtsgespräche). Die FINMA nimmt auch Hinweise aus der Öffentlichkeit oder von Medien auf.

Zudem hat die FINMA, angelehnt an die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD), Offenlegungspflichten für die grossen Banken und Versicherungsunternehmen (Aufsichtskategorien 1 und 2) eingeführt.

1.3 Klagen gegen den Staat

Aber auch der Staat selbst kommt ins Fadenkreuz. Der Fall KlimaSeniorinnen vs. Schweiz ist am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof hängig. Die Verhandlung fand im Mai 2023 statt. Ein Entscheid wird in Kürze erwartet. Im Kern geht es um die Frage, ob der Staat verpflichtet ist, zum Schutze der Menschrechte ambitiöse Klimaziele umzusetzen. Mit dem Fall Careme vs. Frankreich und Duarte Agostinho et. al. gegen Portugal sind ähnliche Fälle vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu beurteilen. Der Menschenrechtsgerichtshof hat schon gegen 300 Umweltfälle beurteilt. Auch wenn das Recht auf eine gesunde Umwelt unter der Menschenrechtskonvention nicht ausdrücklich geschützt ist, hat der Gerichtshof entschieden, dass staatliche Versäumnisse beim Schutz der Bürger vor Umweltschäden durch Verschmutzung eine Verletzung geschützter Rechte, insbesondere des Rechts auf Leben und des Rechts auf Privat- und Familienleben, darstellen kann (Art. 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Eine erhebliche Hürde für die Antragsteller ist die Notwendigkeit, die Klagebefugnis nachzuweisen, mithin die strengen Anforderungen zum Nachweis des «Opferstatus» zu erfüllen. Sollten die Kläger Recht bekommen, könnten diese Urteile wegweisend für die künftige Rechtsprechung zu den menschenrechtlichen Verpflichtungen von Staaten im Zusammenhang mit dem Klimawandel in Europa sein.

2. Selbstregulierung

Dem Greenwashing im Finanzsektor entgegenwirkend ergriff die Asset Management Association Schweiz (AMAS) die Initiative, mit dem Ziel „Sustainable Finance“ weiter zu stärken und den durch Greenwashing erlittenen Imageschaden zu glätten. Angesichts dieses Vorhabens hat AMAS die „Selbstregulierung zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug“, als verbindliche Vorgabe an die Organisation von Finanzinstituten, erarbeitet. Die am 30. September 2023 in Kraft tretenden Bestimmungen ist mit Bezug auf die Instituts- und die Produktebene komplementär zur „Selbstregulierung der Nachhaltigkeit in der Kundenberatung“, welche durch die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) eingeführt wurde.

Als weiterer Beitrag zur Förderung der Sustainable Finance des Schweizer Finanzplatzes hat die Schweizer Bankiervereinigung (SBVg) zwei für ihre Mitglieder verbindliche Vorgaben mit Nachhaltigkeitsbezug sowohl in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung als auch in der Hypothekarberatung definiert. Die neuen, an das FIDLEG angelehnten „Richtlinien für die Finanzdienstleister zum Einbezug von ESG-Präferenzen und ESG-Risiken bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung“ verlangen den Miteinbezug der ESG-Präferenzen mit dazugehöriger Informations-, Dokumentations- und Rechenschaftspflicht. Mit den „Richtlinien für Anbieter von Hypotheken zur Förderung der Energieeffizienz“ wird zudem vorgesehen, dass Anbieter von Hypotheken in der Beratung zur Immobilienfinanzierung die langfristige Werterhaltung sowie die Energieeffizienz des zu finanzierenden Gebäudes mit Kundinnen und Kunden thematisiert wird.

Zudem lancierte der Bundesrat mit dem Zweck den Schweizer Finanzplatz in seiner Glaubwürdigkeit und Klimatransparenz zu stärken die sog. „Swiss Climate Scores“. Diese verschaffen sowohl institutionellen als auch privaten Anlegerinnen und Anlegern vergleichbare und aussagekräftige Informationen, inwiefern Finanzanlagen mit internationalen Klimazielen verträglich sind. Die Anwendung der Swiss Climate Scores ist freiwillig und soll Anlageentscheidungen effizienter gestalten.

3. Regulierung ante portas?

In der Schweiz gibt es weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe ein spezifisches Greenwashing-Verbot. Wie oben aufgezeigt, kann Greenwashing gegen das Täuschungs- bzw. Irreführungsverbot im UWG verstossen (Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG).

Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) soll prüfen, wie der Standpunkt des Bundesrats zur Verhinderung von Greenwashing am besten umgesetzt werden kann. Neben Vertretern des EFD wird die Arbeitsgruppe von Personen aus dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA), der Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen unterstützt, um bis Ende September 2023 Vorschläge zur Vorbeugung von Greenwashing zu erarbeiten.

Im Gegensatz zur Schweiz hat die EU verschiedene Regulierungen eingeführt, die im Zusammenhang mit Greenwashing direkt oder indirekt relevant sind:

  • EU-Taxonomie-Verordnung (Klassifizierungssystem, welches regelt, welche Tätigkeiten als ökologisch nachhaltig gelten sollen)
  • Offenlegungsverordnung (SFDR; Transparenz in Bezug auf ESG-Informationen auf Instituts- und Produktebene im Finanzbereich: Sustainability Risiken und Principal Adverse Impacts (PAI); Gerade in der Schweiz ist die Ausgabe von Dark Green Fonds im Sinne des Artikel 9 SFDR beliebt)
  • EU-Referenzwerte-Verordnung (EU Paris-aligned Benchmark und EU Climate Transition Benchmark)
  • Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD; Berichtsanforderungen für grosse und börsenkotierte Unternehmen ab 01.01.2024; KPIs zur Vergleichbarkeit und Messbarkeit von ESG-Kriterien)
  • Energy Performance of Buildings Directive (EPBD; Mindestanforderungen an Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden; erneuerbare Energiequellen und E-Mobilität; Inspektion von Heizungs- und Klimaanlagen)

4. Bluewashing

Ethisches Handeln ist ein wichtiger Faktor für die Reputation von Unternehmen. Die moralische Reputation wird anhand ihres Umgangs mit der sozialen Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility; CSR) gemessen. Das Engagement die Welt zu verbessern, ist nicht gratis. Manche Unternehmen lassen sich dazu verleiten, sich und ihre Produkte mittels Bluewashing zu schönen, um Ressourcen zu sparen und gleichzeitig in der öffentlichen Wahrnehmung besser abzuschneiden.

Unter Bluewashing versteht man im Allgemeinen eine Marketingstrategie, mit der Unternehmen versuchen ihr Image reinzuwaschen oder aufzupolieren. Sie werben mit vermeintlich ethischen und sozialen Kampagnen und Botschaften – doch meist sind das nur leere Worte. Es handelt es sich um eine blosse PR-Strategie, die das Verbraucherportal VIS Bayern als „moralisches Ablenkungsmanöver bezüglich des sozialen Engagements“ eines Unternehmens bezeichnete. 

Der Begriff Bluewashing hat sich in Anlehnung an das blaue Logo der Vereinten Nationen ergeben, dass Mitglieder des United Nations Global Compact (UNGC) nutzen dürfen, um eine soziale/nachhaltige Unternehmensführung zu demonstrieren, obwohl sie nicht nach den Prinzipien des UNGCs handeln.

5. Was sind die Konsequenzen für Management und Verwaltungsrat?

Greenwashing und Bluewashing sind mit erheblichen Risiken für das Unternehmen verbunden. Wir empfehlen daher, dass der Verwaltungsrat und das Top-Management im Rahmen der Oberaufsicht sicherstellen, dass:

  • Greenwashing und Bluewashing als Risiko erfasst werden, insbesondere für Unternehmen der Finanzindustrie (Riskmanagement; IKS)
  • intern oder extern die notwendigen Kenntnisse aufgebaut werden (ESG-Knowhow)
  • das Marketing und die Kommunikationsabteilung sich der Gefahren des Greenwashing bewusst sind
  • konsistent mit der Nachhaltigkeitspolitik und den Nachhaltigkeitsaspekten des Unternehmens selbst sowie der Produkte und Dienstleistungen und den massgeblichen Rechtsdokumenten kommuniziert wird (Werbung, Branding, PR, Prospekte, Fondsreglemente, Gesellschaftsvertrag, Basisinformationen, Nachhaltigkeitsberichte, Verträge mit Daten-Lieferanten, vertragliche Delegation von Aufgaben, etc.)
  • nur anerkannte Klimalabels eingesetzt werden
  • die Standards von Selbstregulierungsorganisationen eingehalten werden
  • vor dem «Go» von Marketingaktionen mit grünen oder umweltfreundlichen Argumenten eine kritische rechtliche Beurteilung erfolgt, die auch nachweisbar dokumentiert wird
  • interne oder externe Kontrollmechanismen für den Auftritt auf dem Markt vorhanden sind (Einsatz von forensischen Technologien; Whistle Blowing)
  • die Lieferkette nachweislich geprüft wird (third party ESG risk; supplier due diligence)
  • entsprechende Weisungen mit Regelung der Verantwortlichkeiten erlassen werden
  • das Themas ESG Compliance in das interne Compliance Management System integriert wird (vgl. International Standards for Good Governance; ISO 3700:2021)
  • Versicherungsschutz vorhanden ist (D&O, etc.).