23. Oktober 2025

Arbeit auf Abruf in der Schweiz: Rechtlicher Rahmen und praktische Herausforderungen

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Arbeit auf Abruf ist in der Schweiz gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Das Bundesgericht hat sich mit dieser Form der Arbeitsleistung zwar vermehrt auseinandergesetzt und Rechtsprechung zu diversen Fragen rund um das Institut der Arbeit auf Abruf entwickelt. Viele Fragen sind jedoch nicht abschliessend geklärt. Eine saubere vertragliche Regelung ist insbesondere vor diesem Hintergrund unumgänglich.

  • Simone Dubs

    Senior Legal Associate
  • Michèle Stutz

    Legal Partner

Die Zahl der Arbeitnehmer, die in der Schweiz Arbeit auf Abruf leisten, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Hintergrund davon ist, dass sich sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer aus verschiedenen Gründen vermehrt hohe Flexibilität wünschen. Während auf Arbeitgeberseite vor allem Unternehmen in Branchen mit stark schwankender Nachfrage, wie z.B. in der Gastronomie und Hotellerie, im Gesundheitswesen oder in der Veranstaltungsbranche, ein hohes Mass an Flexibilität wünschen, sind es bei den Arbeitnehmern häufig Personen, die sich bewusst dafür entscheiden, nur unregelmässig oder ergänzend zu anderen Tätigkeiten arbeiten zu wollen, wie z.B. Studierende, Pensionierte, oder Personen, die mehrere verschiedene Jobs ausüben wollen.

Bei der Arbeit auf Abruf handelt es sich um uneigentliche Teilzeitarbeit. Im Unterschied zur normalen Teilzeitarbeit wird uneigentliche Teilzeitarbeit nicht aufgrund eines im Voraus festgelegten Arbeitsplans, sondern auf einseitigen Abruf durch den Arbeitgeber oder nach im Belieben des Arbeitnehmers stehendem Einsatzzeitpunkt geleistet.

Wie nachfolgend dargelegt wird, ist zwischen der echten und der unechten Arbeit auf Abruf zu unterscheiden:


A. Echte Arbeit auf Abruf

Bei echter Arbeit auf Abruf kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig abrufen, wobei den Arbeitnehmer eine Einsatzpflicht trifft. In diesem Fall gilt es insbesondere Folgendes zu beachten:

  • Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung und Lehre ist auch die ausserhalb des Betriebs geleistete Rufbereitschaft (häufig als sog. Bereitschaftsdienst bezeichnet) zu entschädigen, wenn auch zu einem reduzierten Ansatz. Dabei richtet sich die Höhe der Entschädigung für die geleistete Berufsbereitschaft grundsätzlich nach Parteivereinbarung. Allerdings können die Gerichte korrigierend eingreifen, wenn eine zu tiefe Entschädigung für die Rufbereitschaft vereinbart wurde. Für die Bemessung der Höhe relevante Kriterien sind nach Bundesgericht vor allem das betriebswirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an der Rufbereitschaft und die Freiheit und Intensität, in welcher der Arbeitnehmer die Zeit für arbeitsfremde Verrichtungen nutzen kann.
  • Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, dem Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses die übliche Arbeit zuzuweisen, wobei übliche Arbeit das durchschnittliche Arbeitsaufkommen während einer angemessenen Periode meint. Dies gilt auch während der Kündigungsfrist. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu wenig Arbeit zu, gerät er in Annahmeverzug und bleibt aufgrund von Art. 324 OR lohnzahlungspflichtig.
  • Im Falle einer Krankheit besteht gestützt auf Art. 324a OR eine Lohnfortzahlungspflicht durch den Arbeitgeber. Für die Bemessung des Lohns wird in der Lehre und Rechtsprechung auf das Durchschnittseinkommen während einer angemessenen Periode abgestellt.

B. Unechte Arbeit auf Abruf

Bei der unechten Arbeit auf Abruf schliessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in der Regel einen Rahmenvertrag über die Arbeitsbedingungen ab. Im Rahmenvertrag werden jedoch keine konkreten Arbeitseinsätze und -zeiten festgelegt. Damit verpflichtet sich der Arbeitnehmer im Rahmenvertrag nicht zur Leistung von Arbeit, weshalb der Rahmenvertrag vor der konkreten Einsatzvereinbarung noch keinen Arbeitsvertrag darstellt. Ein Arbeitsvertrag kommt erst zustande, wenn der Arbeitnehmer einen vom Arbeitgeber angebotenen Einsatz annimmt. Im Unterschied zur echten Arbeit auf Abruf trifft den Arbeitnehmer jedoch keine Einsatzpflicht, sondern er hat das Recht, den vom Arbeitgeber angebotenen Einsatz abzulehnen.

Bei der unechten Arbeit auf Abruf gilt es insbesondere Folgendes zu beachten:

  • Da der Arbeitnehmer den angebotenen Einsatz nicht annehmen muss und sich folglich auch nicht für einen mögliche Einsätze freihalten muss, ist – im Unterschied zur echten Arbeit auf Abruf – auch kein Bereitschaftsdienst zu entschädigen.
  • Höchstrichterlich nicht geklärt und in der Lehre umstritten ist die Frage, ob auch bei der unechten Arbeit auf Abruf während der Kündigungsfrist mindestens das bisherige Arbeitsaufkommen zuzuweisen ist. Das Obergericht des Kantons Zürich hat diese Frage in einem neueren Entscheid bejaht, indem es entschieden hat, dass nach einer gewissen Dauer des Arbeitsverhältnisses und einer gewissen Regelmässigkeit von Arbeitseinsätzen von einem vertraglichen Grundpensum ausgegangen werden müsse und eine Reduktion der Abrufhäufigkeit aufgrund des Vertrauensschutzes nur unter Einhaltung der Kündigungsfrist möglich sei.
  • Bei der unechten Arbeit auf Abruf ist sich die Lehre mit Bezug auf die Frage, ob im Krankheitsfall gestützt auf Art. 324a OR eine Lohnfortzahlungspflicht besteht, nicht einig. Der überwiegende Teil der Lehre bejaht eine grundsätzliche Lohnfortzahlungspflicht, wobei für die dreimonatige Karenzfrist gemäss Art. 324a OR das einheitliche Arbeitsverhältnis – und nicht die einzelnen Arbeitseinsätze – massgebend sein soll. Für die Bemessung des Lohnfortzahlungsanspruchs gilt es folgende zwei Fälle zu unterscheiden:
    • Ist bereits ein Abruf erfolgt und der Einsatz damit bestimmt, ist gemäss überwiegender Lehrmeinung der Lohn geschuldet, welcher der Arbeitnehmer bei diesem Einsatz erzielt hätte.
    • Auch bei einem Arbeitnehmer, der erkrankt, bevor ein Abruf erfolgt ist, besteht für den Arbeitgeber das Risiko, dass ein Gericht von einer Lohnfortzahlungspflicht ausgehen wird, sofern bisher eine regelmässige Beschäftigung erfolgte. Für die Bemessung des Lohns wird auch in diesem Fall auf das Durchschnittseinkommen während einer angemessenen Periode abgestellt. 

Zu beachten gilt es, dass das Gericht die Qualifikation eines Vertrages unabhängig vom (selbst übereinstimmenden) Willen oder von der Vorstellung der Parteien vornehmen kann. Dabei sind für die Qualifikation des Vertrags einzig die konkrete Ausgestaltung resp. die konkreten Merkmale des Vertrags relevant. Dies kann dazu führen, dass sowohl bei der echten als auch bei der unechten Arbeit auf Abruf im Falle eines regelmässigen Abrufs während einer längeren Zeit von einem normalen Teilzeitvertrag ausgegangen wird, was insbesondere zu einem Anspruch des Arbeitnehmers auf regelmässige Einsätze bzw. ein bestimmtes Arbeitspensum führen kann.

Nach dem Gesagten empfiehlt es sich im Einzelfall zu prüfen, ob ein Vertrag tatsächlich als uneigentliche Teilzeitarbeit oder ob er als normale Teilzeitarbeit ausgestaltet werden soll. Unser Arbeitsrechtsteam unterstützt Sie gerne bei der konkreten Ausgestaltung der Verträge.

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