19. November 2020

Nach der gescheiterten Whistleblowing-Vorlage. Was nun?

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Ein Überblick über die geltenden arbeits- und datenschutzrechtlichen Aspekte in Bezug auf die Meldung von Missständen am Arbeitsplatz und deren Untersuchung.

Whistleblower, also Arbeitnehmer, die aus ethischen Gründen oder aus Pflichtgefühl auf Missstände am Arbeitsplatz hinweisen, setzen sich insbesondere dem Risiko strafrechtlicher Sanktionen oder im Falle einer andauernden Beschäftigung im Betrieb einer Kündigung oder anderen Repressalien aus. Dies insbesondere, da es dem Arbeitnehmer aufgrund der arbeitsrechtlichen Treue- und Geheimhaltungspflicht untersagt ist, mit Informationen über den Arbeitgeber an die Öffentlichkeit zu gelangen. Eine gesetzliche Neuregelung des Whistleblowings wird es nach den vom Parlament abgelehnten Vorlagen in naher Zukunft in der Schweiz nicht geben. Aktuell liegt es immer noch an den Gerichten, die Beurteilung im konkreten Einzelfall vorzunehmen. Dieser Magazinbeitrag beleuchtet daher die geltenden arbeits- und datenschutzrechtlichen Aspekte in Bezug auf die Meldung von Missständen am Arbeitsplatz und deren Untersuchung.

Keine Teilrevision des OR in Bezug auf den Schutz von Whistleblowern / Aktuelle Situation in der EU

Seit 2008 wurde im Parlament über eine Teilrevision des Obligationenrechts (Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz) diskutiert. Der Bundesrat wollte klare gesetzliche Regeln schaffen dafür, wann Missstandsmeldungen rechtmässig sind. Heute sind es die Gerichte, die diese Beurteilung im konkreten Einzelfall vornehmen. Am 5. März 2020 wurde die Vorlage des Bundesrats über den Schutz von Meldungen von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz nach 2015 zum zweiten Mal und damit definitiv abgelehnt. Damit wird es in naher Zukunft keine Neuregelung des Whistleblowings in der Schweiz geben.

Mit der Vorlage hätte das vom Bundesgericht entwickelte Kaskadenprinzip, wonach eine Information der Öffentlichkeit resp. von Dritten über Missstände am Arbeitsplatz aufgrund eines nachvollziehbaren Verdachts zulässig wäre, sofern die Meldung zuerst an eine interne geeignete Stelle erfolgen würde, gesetzlich verankert werden sollen. Eine Weiterleitung der Meldung an die zuständige Behörde oder an die Öffentlichkeit oder gar eine Direktmeldung an eine Behörde wäre demnach nur unter besonderen Umständen erlaubt gewesen. Einen eigentlichen Kündigungsschutz sah die Vorlage jedoch nicht vor. Auch hinsichtlich der häufig im Zusammenhang mit missbräuchlichen Kündigungen von Whistleblowern oder anderweitigen Vergeltungsmassnahmen kaum zu überwindender Beweisnot des Whistleblowers (oftmals befinden sich die Beweismittel in den Händen des Arbeitgebers) enthielt die Vorlage keine Erleichterungen. Auch erweiterte Schadenersatzansprüche waren in der revidierten Fassung des Obligationenrechts nicht vorgesehen. Dies im Gegensatz zur Regelung auf EU-Ebene.

Auf EU-Ebene trat am 16. Dezember 2019 eine neue Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern in Kraft. Bis zum 17. Dezember 2021 haben die Mitgliedstaaten der EU die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Dann soll den Whistleblowern durch die Pflicht zur Einrichtung eines internen Meldesystems sichere Kanäle zur Meldung von Missständen sowohl innerhalb von Unternehmen als auch gegenüber Behörden zur Verfügung stehen. Zudem sollen Whistleblower, vorausgesetzt die Meldung erfolgt rechtmässig, vor Vergeltungsmassnahmen (beispielsweise Kündigung, Belästigung, Mobbing, Degradierung, Versetzung, Benachteiligung bei der Beförderung oder Verweigerung von Lohnerhöhungen, etc.) geschützt werden. Einen weiteren Schutz für Whistleblower wird durch die prozessuale Beweislastumkehr zugunsten des hinweisgebenden Arbeitnehmers geschaffen. Ebenfalls sollen angemessene und abschreckende Sanktionen für Personen und Unternehmen unrechtmässige Meldungsbeschränkungen oder Vergeltungsmassnahmen gegen Whistleblower verhindern und den Persönlichkeitsschutz von Whistleblowern stärken. Ferner sieht die Richtlinie einen Schadenersatzanspruch des Whistleblowers nicht nur für unmittelbare Schäden, sondern auch für künftige finanzielle Einbussen und immaterielle Schäden vor.

Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung ist es an den Schweizer Arbeitgebern, die Prozesse für die Meldung von Missständen am Arbeitsplatz anhand von Betriebsrichtlinien intern zu regeln und somit mehr Rechtssicherheit in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit von Whistleblowing-Meldungen zu schaffen und ihre Corporate Governance zu stärken. International tätige Unternehmen in der Schweiz sind gut beraten, die interne Umsetzung der EU-Richtlinie – nicht nur im EU-Raum – genau zu prüfen. Es bleibt aber abzuwarten, welchen konkreten Einfluss die EU-Richtlinien auf in der Schweiz tätige internationale und Schweizer Unternehmen haben wird.

Meldepflicht und Melderecht des Arbeitnehmers

Nach geltendem Schweizer Recht haben Arbeitnehmer einerseits ein Melderecht gegenüber der Arbeitgeberin bezüglich Missstände und Fehlverhalten anderen Arbeitnehmern, sofern sie durch die Meldung keine Treuepflichtverletzung begehen oder Schäden verursachen (bspw. böswillige Falschmeldungen). Dieses Recht zur freien Meinungsäusserung ist auch in Art. 16 Abs. 1 und 2 der Bundesverfassung sowie in Art. 10 EMRK verankert.

Arbeitnehmer haben bei wesentlichen Tatsachen oder Vorkommnissen bei Vorliegen eines begründeten Verdachtes gegenüber der Arbeitgeberin aufgrund der arbeitnehmerischen Treuepflicht (vgl. Art. 321a OR) aber auch eine Meldepflicht hinsichtlich bei seiner Arbeit festgestellter Missstände und Fehlverhalten anderer Arbeitnehmer.

Aus der Treuepflicht (Art. 321a Abs. 1 OR) und insbesondere aus der aus ihr fliessenden Geheimhaltungspflicht (Art. 321a Abs. 4 OR) kann sich andererseits aber auch eine Unterlassungspflicht (Externes Meldeverbot; Beschränkung des Grundrechts Meinungsäusserungsfreiheit) ableiten.

Der Arbeitnehmer befindet sich somit aktuell in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis, Missstände (intern und/oder extern) zu melden und einer möglichen Unterlassungspflicht hinsichtlich einer externen Meldung andererseits.

In Bezug auf Meldungen von Missständen durch Arbeitnehmer an eine Behörde oder gar die Öffentlichkeit stehen regelmässig insbesondere strafrechtliche Geheimhaltungspflichten entgegen. Eine solche Meldung allenfalls legitimierende Rechtfertigungsgründe werden regelmässig erst im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung gegen den Arbeitnehmer geprüft werden.

Ziele eines betrieblichen Whistleblowing-Systems

Eine ausdrückliche Pflicht zur Implementierung eines betriebsinternen Whistleblowing-Systems ist im geltenden Schweizer Recht nicht vorgesehen, dies im Gegensatz zum neuen EU-Recht. Das Gesellschaftsrecht verlangt zwar eine wirksame interne Kontrolle und zweckmässige Organisation der Risikomanagement- und Compliance-Funktion. Wie eine solche auszusehen hat lässt das Gesetz offen. Mit einem funktionierenden Whistleblowing-System können Unternehmen aber eine gute Corporate Governance demonstrieren und Risiken im Zusammenhang mit Missständen am Arbeitsplatz bzw. deren Meldungen minimieren.

Ein Whistleblowing-System kann unternehmensindividuell ausgestaltet und einseitig implementiert werden. Die Arbeitgeberin kann ohne Rücksprache mit den Arbeitnehmern die einzuhaltenden Whistleblowing-Prozesse und unternehmensinternen Verfahren definieren.

Ein Whistleblowing-System ermöglicht der Arbeitgeberin, frühzeitig rechtlich relevante Risikosachverhalte zu identifizieren, Verstösse gegen Gesetze oder unternehmensinterne Regeln aufzudecken, die Prozesse regelmässig auf ihre Wirkung zu überprüfen und allfällig erforderliche Massnahmen einleiten zu können. Ferner kann unter Umständen eine Unternehmensverantwortlichkeit nach Art. 102 Abs. 2 StGB vermieden werden.

Ferner erhöht ein funktionierendes Whistleblowing-System das Vertrauen des Arbeitnehmers in das Unternehmen. Indem den Arbeitnehmern aufgezeigt wird, dass ihre Meldungen ernst genommen und untersucht werden, kann das Arbeitsklima verbessert und eine gute Unternehmenskultur gefördert werden. Ausserdem kann im besten Fall vermieden werden, dass rufschädigende Meldungen über Missstände an die Öffentlichkeit gelangen, bevor die Missstände intern untersucht und beseitigt werden konnten.

Zu beachtende Arbeits- und datenschutzrechtliche Aspekte eines Whistleblowing-Systems

Bei der Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems hat die Arbeitgeberin jedoch sicherzustellen, dass der Whistleblowing-Prozess die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer wahrt (vgl. Art. 328 OR). Dabei hat die Arbeitgeberin sicher zu stellen, dass sowohl der Whistleblower als auch die von einer Meldung betroffene Arbeitnehmer geschützt werden.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen hat die Arbeitgeberin ihre Arbeitnehmer überdies vorgängig über das Whistleblowing-System und dessen Zweck zu informieren. Bei der Wahl der Meldestelle (egal ob intern oder extern) ist sicherzustellen, dass die datenschutzrechtlichen Bearbeitungsgrundsätze eingehalten werden.

Die Arbeitgeberin hat aufgrund ihrer Fürsorgepflicht die interne Meldung über Missstände zu untersuchen. Die betroffenen Arbeitnehmer sind über die erfolgte Meldung und deren Inhalt zu informieren und anzuhören. Die Arbeitnehmer müssen die Gelegenheit erhalten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, sobald die interne Untersuchung durch eine Information der betreffenden Arbeitnehmer nicht mehr gefährdet wird. Aufgrund der gesetzlich verankerten Fürsorgepflicht hat die Arbeitgeberin jedoch auch den Whistleblower zu schützen, der die Arbeitgeberin rechtmässig auf einen Missstand aufmerksam gemacht hat. Sie muss einerseits sicherstellen, dass die Identität des Whistleblowers vertraulich behandelt wird und dieser vor Vergeltungsmassnahmen geschützt wird. Die Arbeitgeberin hat ihrerseits ebenfalls von Vergeltungsmassnahmen abzusehen, sofern das Whistleblowing rechtmässig erfolgt ist. Eine Kündigung als Reaktion auf ein zulässiges Whistleblowing wird in der Lehre als auch in der Rechtsprechung grundsätzlich als missbräuchlich erachtet und ist mit bis zu sechs Monatslöhnen zu entschädigen.

Sofern von der Arbeitgeberin keine zuständige Meldestelle bezeichnet worden ist, kann der Arbeitnehmer Missstände an eine interne und geeignete Meldestelle melden, die berechtigt und kompetent ist, den gemeldeten Sachverhalt aufzudecken und zu untersuchen (bspw. die Compliance- oder Rechtsabteilung). Aufgrund der arbeitnehmerischen Treuepflicht und dem Verhältnismässigkeitsprinzip ist eine externe Meldung an eine zuständige Behörde nur bei überwiegenden Eigen-, Dritt- oder öffentlichen Interessen an einer externen Offenlegung zulässig. Eine Meldung an eine externe Stelle ist in der Regel erst nach erfolgter interner Meldung zulässig und nur insoweit die Arbeitgeberin keine angemessenen Massnahmen getroffen hat. Eine direkte externe Meldung kann jedoch zulässig sein, wenn die Arbeitgeberin selbst in den Missstand involviert ist und/oder keine Abhilfe zu schaffen bereit ist. Die Offenlegung in der Öffentlichkeit ist nur als ultima ratio zulässig, nämlich dann, wenn auch die Behörde nicht die nötigen Massnahmen ergriffen hat.

Fazit

Arbeitnehmer und Dritte, welche Missstände extern melden möchten, befinden sich aktuell im Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis, Missstände (intern und/oder extern) zu melden und einer möglichen Unterlassungspflicht hinsichtlich einer externen Meldung. Sie bewegen sich ausserdem zwischen moralischen oder gesetzlichen Verpflichtungen (u.a. arbeitsrechtliche Treuepflicht) und der Angst vor möglichen Repressalien. Der arbeitsrechtliche Umgang von Unternehmen mit Whistleblowing wird dabei massgeblich geprägt von der arbeitgeberischen Fürsorgepflicht (Schutz berechtigter Interessen und Schutz der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers). Arbeitgeber sind aufgrund ihrer Fürsorgepflicht dazu gehalten, interne Meldungen über Missstände am Arbeitsplatz zu untersuchen und den meldenden Arbeitnehmer vor Repressalien zu schützen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, ein gut funktionierendes Whistleblowing-System zu implementieren und im Falle einer internationalen Tätigkeit auch die weitergehenden internationalen Whistleblowing-Regeln einzuhalten. Bei internen Untersuchungen hat der Arbeitgeber insbesondere die datenschutzrechtlichen Bearbeitungsgrundsätze einzuhalten und den meldenden Arbeitnehmer vor Diskreditierung und Repressalien zu schützen.

MME berät und unterstützt Sie gerne bei der Gestaltung und Implementierung von Whistleblowing-Prozessen und bei der Untersuchung von Meldungen über Missstände am Arbeitsplatz.