30. Oktober 2023

Stolpersteine bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen

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Gerichtsstand, anwendbares Recht, Aufenthaltsbewilligung oder sozialversicherungsrechtliche Unterstellung? Unser Beitrag gibt Ihnen einen Überblick über verschiedene Problemfelder bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen.

Die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt nimmt in den letzten Jahren stetig zu. Zusätzlich begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Covid 19-Pandemie und die damit verbundene zeitlich beschränkt verordnete Homeoffice-Pflicht (vgl. unseren damaligen Magazinbeitrag: Homeoffice während der Pandemie: Empfehlung oder Pflicht? Herausforderungen?), welche bei zahlreichen Arbeitgebern zur generellen Einführung der Möglichkeit zur Telearbeit geführt hat. Überdies gibt es aufgrund der Digitalisierung mittlerweile zahlreiche Arbeitstätigkeiten, bei denen eine physische Präsenz des Arbeitnehmers nicht mehr erforderlich (Stichwort «Digital Nomads») ist. Dies bringt allerdings für die Arbeitgeber zahlreiche Risiken mit sich. Der nachfolgende Magazinbeitrag nimmt die wichtigsten Stolpersteine aus der Sicht von Arbeitgebern mit Sitz in der Schweiz auf.

Wo kann der Arbeitgeber verklagt werden? Welches Recht wird auf das Arbeitsverhältnis angewendet?

Üblicherweise kann ein Arbeitgeber in der Schweiz von seinen Arbeitnehmern gestützt auf die Schweizer Zivilprozessordnung an seinem Sitz oder am Arbeitsort der Arbeitnehmenden in der Schweiz eingeklagt werden. Bei internationalen Arbeitsverhältnissen sind allerdings die Zuständigkeitsvorschriften des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) sowie allfällige Staatsverträge, insbesondere das Lugano-Übereinkommen (LugÜ), zu berücksichtigen.

In Bezug auf Klagen aus Arbeitsverträgen sehen sowohl das IPRG als auch das LugÜ entweder einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten oder am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers vor, wobei diese beiden Orte in der Regel in unterschiedlichen Staaten liegen werden. Wo genau bei Arbeitnehmern, die an verschiedenen Orten ihre Arbeitstätigkeit ausüben, der «gewöhnliche Arbeitsort» liegt, kann häufig zur Streitfrage werden. Relevant ist in jedem Fall das tatsächlich gelebte Arbeitsverhältnis und nicht eine allfällige theoretische Vereinbarung des Arbeitsortes im Rahmen des Arbeitsvertrages. Auch wenn sich dieser Beitrag ausschliesslich mit dem Schweizer Recht befasst, steht fest: Andere Staaten kennen ähnliche Regelungen.

Dies birgt für Arbeitgeber Risiken: Ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz und Arbeitnehmenden im Ausland läuft Gefahr, dass es sich mit einer Klage vor einem ausländischen Gericht konfrontiert sieht, weil das ausländische Gericht sich als zuständig erachtet, wenn der Arbeitnehmer in seinem Zuständigkeitsbereich arbeitet. Das Schweizer Unternehmen sieht sich dann gezwungen, sich im Ausland dem Prozess zu stellen – mit den entsprechenden Kostenfolgen.

Ist ein ausländisches Gericht mit einer Streitigkeit befasst, entscheidet dieses Gericht zudem nach den Regeln seines Landes, welches Recht es auf die Auseinandersetzung anwendet. Das kann namentlich dazu führen, dass das ausländische Gericht das Arbeitsrecht seines Staates auf die Auseinandersetzung anwendet, selbst wenn eine Rechtswahlklausel im Arbeitsvertrag auf Schweizer Recht verweist. Gerade im EU-Ausland finden sich – verglichen mit dem Schweizer Arbeitsrecht – häufig arbeitnehmerfreundlichere Rechtsordnungen, welche beispielsweise deutlich schärfere Kündigungsvorschriften vorsehen. Wenn Arbeitgeber sich dessen nicht bewusst sind, kann dies zu unangenehmen (und kostspieligen) Folgen führen.

Es empfiehlt sich daher, z.B. in einem Reglement vorzusehen, in welchen Ländern eine Arbeitstätigkeit ausgeübt werden darf und in welchem Umfang das geschehen darf, um die damit einhergehenden Risiken besser klären und einschätzen zu können.

Benötigt der Arbeitnehmer im Arbeitsstaat eine ausländerrechtliche Bewilligung?

Ein Aspekt, der in der heutigen flexibilisierten Arbeitswelt oft vergessen geht, ist die Frage, ob ein Arbeitnehmer in einem bestimmten Staat – in dem er sich z.B. bei einer «Workation» ferienhalber aufhält – überhaupt arbeiten darf. Dies ist nach den Gesetzen des jeweiligen Arbeitsstaates zu beurteilen.

Aus Schweizer Sicht gilt – kurz zusammengefasst – Folgendes: Zu unterscheiden ist zwischen der Berechtigung zum Aufenthalt und der Berechtigung zur Arbeit in der Schweiz. Nur weil sich jemand berechtigterweise in der Schweiz aufhalten darf – z.B. als Tourist – bedeutet das noch nicht, dass auch Arbeiten ausgeführt werden dürfen. In diesem Zusammenhang können wir auf unseren Magazinbeitrag zum Schengen Business Visum verweisen.

Bei der Beurteilung, ob ein ausländischer Arbeitnehmer eine Arbeitsbewilligung benötigt, ist dessen Staatsangehörigkeit von zentraler Bedeutung. Für EU/EFTA-Staatsangehörige ist die Regelung gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen relativ einfach. In diesem Zusammenhang können mehr Informationen auch unserem Magazinbeitrag Zuzug in die Schweiz – Ausländerrecht entnommen werden.

Falls ein Arbeitnehmer aus einem EU/EFTA-Staat nur für eine beschränkte Zeit in der Schweiz arbeitet bzw. allenfalls von seinem ausländischen Arbeitgeber in die Schweiz entsandt wird, besteht die Möglichkeit der korrekten Abwicklung mittels Meldeverfahren. Dies gilt jedoch nur bei einem Aufenthalt von bis zu maximal 90 Tagen innerhalb eines Jahres.

Drittstaatsangehörige benötigen hingegen bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit mit Bezug zum Schweizer Arbeitsmarkt zwingend eine Arbeitsbewilligung der kantonal zuständigen Arbeitsmarktbehörde am Sitz des Arbeitgebers. Deren Zulassung richtet sich ausserdem nach dem Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG). Dieses sieht aufgrund der im Jahr 2014 angenommenen Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» einen Inländervorrang vor, weshalb die Zulassungshürden für einen Drittstaatsangehörigen höher liegen als bei einem EU/EFTA-Staatsangehörigen.

Ähnliche bzw. vergleichbare Regelungen dürften regelmässig auch in anderen Staaten gelten. Vor Einsätzen von Arbeitnehmern von Schweizer Unternehmen im Ausland ist mithin zu überprüfen, ob die betreffenden Arbeitnehmenden der vorgesehenen Tätigkeit im Ausland überhaupt nachkommen dürfen bzw. was dafür vorzukehren ist.

In welchem Staat sind die Sozialversicherungsabgaben zu bezahlen?

Arbeitgebende sind sich gewöhnt, Sozialversicherungsabgaben in ihrem jeweiligen Land zu leisten. Bei einer Arbeitstätigkeit von Arbeitnehmern in verschiedenen Staaten oder einem Auseinanderfallen zwischen Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers und Sitzstaat des Arbeitgebers besteht aber das Risiko, dass in mehreren Staaten bzw. einem anderen Land als im Sitzstaat des Arbeitgebers Sozialversicherungsabgaben bezahlt werden müssen. Für die konkrete Regelung müssen jeweils die entsprechenden Regelungen der involvierten Staaten geprüft werden. Die Verantwortung für die korrekte Abwicklung der Sozialversicherungsabgaben liegt nach Schweizer Gesetzgebung beim Arbeitgeber.

Vorab festgehalten werden kann, dass diese Situationen immer die Gefahr in sich bergen, dass (1) Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern Mobilität erlauben, Sozialversicherungsbeiträge in einem fremden Staat abrechnen müssen, dessen Systeme sie nicht kennen, was beachtlichen administrativen Aufwand mit sich bringen kann und (2) allenfalls gar doppelte Zahlungen (in der Schweiz und im Ausland) anfallen.

Mit den EU/EFTA-Staaten besteht ein Abkommen, welches für Staatsangehörige der Schweiz sowie der EU/EFTA-Staaten diverse Regelungen vorsieht, mit denen sichergestellt werden soll, dass auch bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen sowohl in Bezug auf die Beiträge als auch in Bezug auf die Leistungen immer nur ein Sozialversicherungssystem zum Tragen kommt. Die wichtigste – aber nicht einzige – Regelung ist die folgende: Wenn Arbeitnehmende gleichzeitig in ihrem Wohnsitzstaat und einem anderen Vertragsstaat arbeiten, dann kommt das Sozialversicherungssystem des Wohnsitzstaates zum Tragen, sofern der Arbeitnehmer in diesem Staat mindestens 25% seiner Tätigkeit ausübt. Liegt dieser Anteil tiefer, gilt das Sozialversicherungssystem im Sitzstaat des Arbeitgebers. In diesem Zusammenhang kann sodann ergänzend auf unseren Magazin-Beitrag zum Thema A1-Bescheinigung - Wichtig für grenzüberschreitende Tätigkeiten verwiesen werden.

Die Schweiz und bestimmte Staaten der EU und der EFTA haben zusätzlich eine Vereinbarung unterzeichnet, welche die sogenannte Telearbeit aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zusätzlich erleichtern soll. Dieses trat am 1. Juli 2023 in Kraft und sieht vor, dass Personen, die in dem Staat arbeiten, in dem sich auch der Sitz ihres Arbeitgebers befindet, bis maximal 49.9 % ihrer Arbeitszeit in ihrem Wohnsitzstaat leisten dürfen ohne dass dies etwas daran ändert, dass sie dem Sozialversicherungssystem im Sitzstaat des Arbeitgebers unterstellt sind. Diese 49,9%-Grenze wird über einen Zeitraum von 12 Monaten betrachtet. Die Regel ist nur auf Situationen anwendbar, die zwei Staaten und deren Staatsangehörige betreffen, welche die Vereinbarung unterzeichnet haben. Die jeweils aktuelle Liste mit den Staaten, welche diese zusätzliche Vereinbarung unterzeichnet haben, findet sich hier.

Um die Risiken im Zusammenhang mit den Sozialversicherungen einzugrenzen, empfiehlt es sich, für Arbeitgeber konkret zu regeln, in welchen Staaten ihre Arbeitnehmenden tätig sein dürfen und in welchem Umfang dies erlaubt ist.

Unselbständiger Arbeitnehmer oder «Contractor»?

Um die Risiken im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen zu umgehen, versuchen verschiedene Unternehmen, neue Angestellte als Auftragnehmer (sog. «Contractor») und nicht als Arbeitnehmer zu beschäftigen. Zumindest nach Schweizer Recht ist es jedoch nicht Sache der Parteien zu definieren, ob jemand ein Arbeitnehmer oder ein Auftragnehmer ist, sondern dies wird immer von den Gerichten und/oder den zuständigen Behörden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt. Durch die Bezeichnung als Auftragnehmer im Vertrag lassen sich die Risiken also nicht vermeiden.

Der Hauptunterschied zwischen einem Arbeitsvertrag und einem Auftrag besteht darin, dass dem Auftragnehmer viel mehr Flexibilität in der Arbeitsgestaltung zukommt, dieser in der Regel nur auf Projektbasis arbeitet und nicht in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert ist. Ausserdem ist der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer im Gegensatz zum Arbeitgeber nicht weisungsbefugt.

Falls ein Unternehmen einen Contractor engagieren will, muss vorab geprüft werden, ob das Vertragsverhältnis tatsächlich so aufgesetzt werden kann, dass ein Auftrag vorliegt. Wird ein Rechtsverhältnis nachträglich von einem Gericht oder den (Sozialversicherungs)Behörden umqualifiziert, drohen relevante finanzielle Nachforderungen auf bis zu 5 Jahre zurück. Dazu kommen Zinsen und allfällige Strafzahlungen, weshalb es sich lohnt, das Vertragsverhältnis von Beginn an korrekt aufzusetzen.

Wie bereits im Zusammenhang mit Gerichtszuständigkeit und dem anwendbaren Recht erwähnt, beurteilt ein Gericht auch die Frage, ob ein Arbeits- oder Auftragsverhältnis vorliegt nach dem nationalen Recht des Landes, in welchem das gerichtliche Verfahren durchgeführt wird. Je nachdem, wo ein «Contractor» tätig sein soll, muss also nach den lokalen Vorschriften geprüft werden, ob dies so umsetzbar ist bzw. welche Risiken ein solches Vorgehen mit sich bringt.

Bestehen steuerrechtliche Risiken?

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den arbeitsrechtlichen Aspekten und geht nicht detailliert auf steuerrechtliche Themen ein. Es darf aber nicht vergessen werden, dass bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten auch steuerrechtliche Themen eine wichtige Rolle spielen können (z.B. Betriebsstättenproblematik; persönliche Steuerpflicht des Arbeitnehmers; Pflicht zur Ablieferung von Quellensteuern etc.). Je nach Tätigkeitsland lässt sich auch dieses Risiko durch konkrete Vorgaben, welchen Tätigkeiten Arbeitnehmende in welchen Ländern und in welchem Umfang nachgehen dürfen, minimieren.

Unsere Empfehlung

Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse bringen verschiedene juristische Stolpersteine mit sich und können bei deren Nichtbeachtung zu finanziellen Folgen und weiteren ungewünschten Konsequenzen für den Arbeitgeber führen. Zur Vermeidung solcher Risiken ist der Arbeitgeber gut beraten, wenn er vor der Eingehung des Anstellungsverhältnisses Abklärungen zu den rechtlichen Folgen trifft.

Unsere Experten aus dem Arbeitsrechtsteam sowie für damit zusammenhängende steuerrechtliche Fragen aus unserem Tax-Team unterstützen Sie gerne bei Fragen zu Arbeitsverhältnissen mit Auslandbezug.