22. März 2024

Aktualisierung der IBA-Richtlinien zu Interessenkonflikten

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Alle wichtigen Änderungen im Überblick.

Die Schiedskommission der International Bar Association hat neue Richtlinien zu Interessenkonflikten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit («IBA-Richtlinien») veröffentlicht. Die IBA-Richtlinien sind ein «Soft-Law»-Instrument, das internationale Standards für die Wahrung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Schiedsrichtern sowie für die Offenlegung von Interessenkonflikten festlegt. Obwohl sie ohne Zustimmung der Parteien nicht verbindlich sind, gelten sie als internationale «Best Practice» und werden in der Schiedsgerichtsbarkeit häufig zur Beurteilung von Interessenkonflikten und der Notwendigkeit einer Offenlegung herangezogen.

Die neuen IBA-Richtlinien aktualisieren die Version aus dem Jahr 2014, ohne deren Grundprinzipien zu verändern. Die Aktualisierung umfasst Anpassungen sowohl bei den «Allgemeinen Grundsätzen» als auch bei der Anwendungsliste dieser Grundsätze, dem sogenannten «Ampelsystem». Unser Beitrag stellt die wichtigsten Änderungen vor.

Wichtige Änderungen im Teil I «Allgemeine Grundsätze»

Teil I der IBA-Richtlinien enthält sieben allgemeine Grundsätze, die bei der Beurteilung von Interessenkonflikten und der Notwendigkeit einer Offenlegung stets zu berücksichtigen sind.

Zu den wichtigsten Änderungen und Präzisierungen dieser Grundsätze gehören folgende:

  • Offenlegung und Nicht-Offenlegung durch den Schiedsrichter: Ist ein Schiedsrichter der Auffassung, dass er eine Offenlegung vornehmen sollte, aber durch das Berufsgeheimnis oder andere Berufs- oder Standesregeln daran gehindert wird, sieht der neue Allgemeine Grundsatz 3(e) vor, dass der Schiedsrichter die Ernennung nicht annimmt oder, wenn er bereits ernannt ist, zurücktritt.
    Der neue Allgemeine Grundsatz 3(g) sieht ausdrücklich vor, dass das Unterlassen der Offenlegung bestimmter Tatsachen und Umstände, die bei den Parteien Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit eines Schiedsrichters wecken könnten, nicht zwangsläufig bedeutet, dass ein Interessenkonflikt vorliegt oder dass der Schiedsrichter ausgeschlossen werden sollte.
  • Erkundigungspflicht der Parteien: Der neue Allgemeine Grundsatz 4(a) beinhaltet die Vermutung, dass eine Partei von einer Tatsache oder einem Umstand, die bzw. der bei sorgfältiger Prüfung zu Beginn oder im Laufe des Verfahrens hätte festgestellt werden können, Kenntnis hatte. Wird eine solche Tatsache oder ein solcher Umstand nicht innerhalb von 30 Tagen geltend gemacht, so wird vermutet, dass die Partei darauf verzichtet hat, diese Tatsache oder diesen Umstand geltend zu machen.
  • Beziehungen: Der neue Allgemeine Grundsatz 6 wurde insbesondere im Hinblick auf die Definition des Begriffs «Anwaltskanzlei» aktualisiert, um ihn mit der sich entwickelnden Rechtslandschaft und Praxis internationaler Rechtsinstitutionen in Einklang zu bringen. Darüber hinaus wird klargestellt, dass (i) ein Schiedsrichter nicht nur die Identität seiner Anwaltskanzlei, sondern auch die seines Arbeitgebers trägt und dass (ii) jede juristische oder natürliche Person, auf die eine Partei einen beherrschenden Einfluss ausübt, als Träger der Identität dieser Partei angesehen werden kann.
  • Verpflichtungsdauer, unabhängig und unparteiisch zu bleiben: Die Richtlinien zum Allgemeinen Grundsatz 1 wurden geändert, um klarzustellen, dass die Verpflichtung des Schiedsrichters zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit mit dem Erlass des Schiedsspruchs endet. Sie erstreckt sich nicht auf den Zeitraum, in dem der Schiedsspruch vor Gericht oder einer anderen Einrichtung angefochten werden kann.

Wichtige Änderungen im Teil II «Praktische Anwendung der Allgemeinen Grundsätze»

Teil II der IBA-Richtlinien enthält einen praktischen Leitfaden, der mögliche Situationen auflistet, in denen Parteien und Schiedsrichter in einen Interessenkonflikt geraten können. Der Leitfaden ist als sogenanntes «Ampelsystem» aufgebaut und in drei Kategorien unterteilt: die grüne Liste, die orange Liste und die (nicht einwilligungsfähige und einwilligungsfähige) rote Liste. Diese Beispiele können jedoch nicht alle möglichen Situation abdecken. Daher gilt die Anwendungsliste subsidiär zu den Allgemeinen Grundsätzen.

An der roten Liste (sowohl einwilligungsfähige als auch nicht einwilligungsfähige) und der grünen Liste wurden keine wesentlichen Änderungen vorgenommen. Die meisten Änderungen betreffen die orange Liste (Beispiele mit einer Offenlegungspflicht):

  • Sachverständige: Es wurde eine neue Ziffer hinzugefügt (3.1.6), die sich auf Situationen bezieht, in denen ein Schiedsrichter gegenwärtig oder in den letzten drei Jahren als Sachverständiger für eine der Parteien oder für ein mit einer der Parteien verbundenes Unternehmen in einer anderen Angelegenheit tätig ist bzw. war. Eine Offenlegung soll auch dann erfolgen, wenn der Schiedsrichter innerhalb der letzten drei Jahre mehr als dreimal von demselben Anwalt oder derselben Anwaltskanzlei als Sachverständiger bestellt worden ist (3.2.9). Gleichzeitig wird klargestellt, dass ein Schiedsrichter, der als Schiedsrichter in einer anderen Sache tätig ist und in dem anhängigen Verfahren die Aussage eines Sachverständigen gehört hat, unter die Grüne Liste fällt (4.5.1).
  • Mock Trials: Die neue Ziffer 3.2.10 sieht vor, dass eine Offenlegung zu erfolgen hat, wenn der Schiedsrichter innerhalb der letzten drei Jahre von demselben Anwalt oder derselben Anwaltskanzlei mehr als dreimal zur Mitwirkung an Probeverhandlungen oder zur Vorbereitung von Verhandlungen bestellt worden ist. Dasselbe gilt, wenn der Schiedsrichter innerhalb der letzten drei Jahre von einer der Parteien zweimal oder öfter zur Teilnahme an Probeverhandlungen («Mock Trial») oder zur Vorbereitung von Verhandlungen bestellt worden ist (Ziffer 3.1.4).
  • Co-Schiedsrichter: Nach den neuen Ziffern 3.2.12 und 13 hat eine Offenlegung zu erfolgen, wenn ein Schiedsrichter und der Anwalt einer der Parteien derzeit gemeinsam als Schiedsrichter in einem anderen Schiedsverfahren tätig sind oder wenn ein Schiedsrichter und sein(e) Kollege(n) derzeit gemeinsam als Schiedsrichter in einem anderen Schiedsverfahren tätig sind.
  • Soziale Medien: Wenn der Schiedsrichter öffentlich zum Fall Stellung genommen hat, sollte dies gemäss der neuen Ziffer 3.4.2 offengelegt werden, die nun ausdrücklich auch soziale Medien und berufsbezogene Online-Netzwerkplattformen einschliesst.
  • Beziehung zwischen Schiedsrichter und Sachverständigem: Nach der überarbeiteten Ziffer 3.4.3 soll eine Offenlegung erfolgen, wenn ein Schiedsrichter eine Entscheidungsposition bei dem die Streitigkeit verwaltenden Institution oder der Ernennungsbehörde innehat und in dieser Position an Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren mitgewirkt hat.

(Die International Bar Association hat ein Vergleichsdokument zwischen den Fassungen von 2014 und 2024 auf Englisch veröffentlicht. Dieses bietet eine gute Orientierungshilfe für alle Änderungen: Siehe hier)

Diese Anpassungen reflektieren die Veränderungen in der modernen Rechtspraxis und das Bestreben, Schiedsrichtern und Praktikern in der Schiedsgerichtsbarkeit zusätzliche Orientierungshilfen zu Themen wie der Ablehnung von Schiedsrichtern und Offenlegungspflichten zu geben.

 

Haben Sie Fragen zu den neuen IBA-Richtlinien? Sind Sie unsicher, inwiefern sich die Änderungen auf Ihre Wahl oder mögliche Ablehnung von Schiedsrichtern auswirken könnten? Unser Arbitration Team steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.