17. September 2025

Ungewöhnlichkeit der AB Spedlogswiss: Bundesgericht rüttelt an Branchenpraxis

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Das Bundesgericht betrachtet zentrale Haftungsbeschränkungen der AB Spedlogswiss für ungewöhnlich – mit Folgen für Spediteure und ihre Kunden.

  • Raphael Brunner

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Sachverhalt und Urteil

Das Bundesgerichtsurteil 4A_287/2024 vom 2. Juli 2025 sorgt in der Transport- und Logistikbranche für Aufsehen. Ausgangspunkt war ein Pharmatransport, bei dem zwei Pakete durch den Spediteur verwechselt und an die jeweils andere Destination gesendet wurden. Die Ware musste infolge vernichtet werden. Der Spediteur berief sich auf die Haftungsbeschränkung der AB Spedlogswiss – doch das Bundesgericht vertrat die Ansicht, dass diese AGB nicht wirksam einbezogen wurden. Und selbst wenn, seien zentrale Bestimmungen «ungewöhnlich» und damit unwirksam.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht rügte die Art und Weise, wie der Spediteur seine AGB kommunizierte: Verweise auf AGB’s am Ende einer E-Mail in «mikroskopisch kleiner» Schrift seien nicht ausreichend, um diese zum Vertragsbestandteil werden zu lassen. Auch Hinweise auf Lieferscheinen oder Rechnungen genügten nicht.

Noch entscheidender: Das Gericht stufte die Haftungsbeschränkungen in Art. 21 und 22 AB Spedlogswiss als ungewöhnlich ein. Diese Klauseln begrenzen die Haftung von Spediteuren und deckeln die Ersatzpflicht auf SZR 8.33 pro Kilo bzw. SZR 20'000 pro Schadenfall. Aus Sicht des Bundesgerichts weichen sie erheblich von den gesetzlichen Bestimmungen in Art. 447 ff. OR ab – und seien für eine branchenfremde Auftraggeberin überraschend.

Kritik am Entscheid

Diese Perspektive des Bundesgerichts greift zu kurz: In der Transportbranche unterliegen die wenigsten Verträge dem OR – vielmehr gelten je nach Transportmodus international vereinheitlichte Haftungsregime, die den OR-Bestimmungen vorgehen. Haftungsbegrenzungen sind dabei nicht ungewöhnlich, sondern Standard, Bestandteil von staatsvertraglichen Regelungen und haben mindestens zum Teil sogar zwingenden Charakter. Ob CMR, Montrealer Übereinkommen oder CIM – überall finden sich entsprechende Limitierungen. Die Haftungsbeschränkung auf SZR 8.33 pro Kilo entspricht dabei den zwingend anwendbaren Haftungsbeschränkungen betreffend den internationalen Strassentransport gemäss Art. 23 Abs. 3 CMR (SR 0.741.611).

Ferner gibt es in den meisten Europäischen Ländern wie zum Beispiel in Deutschland (ADSp 2017), Österreich (AÖSp) oder den Niederlanden (FENEX) branchenweite AGB, welche ähnliche bzw. vergleichbare Haftungsbeschränkungen pro Kilo, kombiniert mit summenmässigen Haftungsbeschränkungen, enthalten. Die AB Spedlogswiss spiegeln also mit Ihren Haftungsregeln im Speditions- und Transportwesen nicht nur international geltende Rechtsnormen wider, sie entsprechen darüber hinaus dem internationalen Branchenstandart (Lex Mercatoria) und können damit gar nicht als ungewöhnlich gelten.

Ebenfalls unberücksichtigt lässt das Bundesgericht den Umstand, dass die erste Version der AB Spedlogswiss vor 100 Jahren geschaffen wurden und die AB Spedlogswiss in der Speditionsbranche der Schweiz seit vielen Jahrzehnten mehr oder weniger flächendeckend angewendet werden. Können solche weit verbreitete Branchenregeln objektiv überhaupt als ungewöhnlich gelten?

Problematisch ist ferner die subjektive Betrachtung: Das Gericht ging von fehlender Branchenkenntnis der Pharmakundin aus. Doch gerade global tätige Unternehmen und ihre Logistikabteilungen wissen sehr wohl, dass die Haftung von Frachtführern gesetzlich beschränkt ist und zwar im internationalen Kontext auf einem deutlich tieferen Niveau als gemäss Art. 447 OR. Ebenfalls hinlänglich bekannt ist einer exportierenden Gesellschaft, dass auch Spediteure international ihre (auftragsrechtliche) Haftung regelmässig der Haftung des internationalen Frachtführers aus Frachtvertrag angleichen und entsprechend beschränken. Der Grund dafür liegt darin, dass weder Frachtführer noch Spediteur an den zu transportierenden Gütern ein Interesse haben und auch nicht von der Wertschöpfung der Güter profitieren. Sie erbringen in Bezug auf die Güter einzig Transport-Organisations-Dienstleistungen (Spediteur) und Transport-Dienstleistungen (Frachtführer). Entsprechend versichern die Verlader bzw. Versender (z.B. Pharma-Konzerne, exportierende Gesellschaften generell) ihre Waren während dem Transport über Sachversicherungen (Transportversicherung, Maritime Insurance, etc.). Auch daraus ergibt, sich, dass das Wissen um die beschränkte Haftung des Spediteurs und Frachtführers dem Versender anzurechnen ist. Bereits frühere Rechtsprechung (BGE 77 II 154) verlangte von Geschäftskunden ein solches Wissen. Dass das Bundesgericht nun Konsumentenschutzgedanken auf den B2B-Bereich überträgt, irritiert.

Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil führt zu Unsicherheiten und verschärft daher die Notwendigkeit des formell korrekten Einbezugs der AGB:

  • Kleingedruckte Verweise am Dokumentenende genügen nicht
  • Kritische Klauseln müssen gegebenenfalls explizit hervorgehoben oder individuell vereinbart werden
  • Spediteure sollten ihre Vertragsprozesse prüfen und allenfalls anpassen – etwa durch klare Hinweise auf die AGB in Offerten oder Auftragsbestätigungen

Für Auftraggeber eröffnet sich hingegen allenfalls die Möglichkeit, im Streitfall Haftungsbeschränkungen leichter anzugreifen. Die Entscheidung schafft damit Rechtsunsicherheit.

Fazit

Mit seiner strengen Anwendung der Ungewöhnlichkeitsregel stellt das Bundesgericht ein seit Jahrzehnten eingespieltes Gleichgewicht im Transportrecht infrage. Ob dieser Kurs Bestand haben wird oder in zukünftigen Verfahren korrigiert wird, bleibt abzuwarten. Zumindest ist das Urteil nicht zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen. Sicher ist: Spediteure müssen ihre Kunden deutlicher als bisher über den Einbezug der AGB und insbesondere die Haftungslimiten informieren – sonst droht die volle Haftung.

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