27. Oktober 2022

Russland Sanktionen: Verbot der Erbringung von Dienstleistungen für in Russland niedergelassene juristische Personen – Wie weit gehen diese Sanktionen wirklich?

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Aufgrund der neuen Sanktionsmassnahmen des achten Sanktionspaketes wurde das bestehende Verbot der Erbringung von bestimmten Dienstleistungen (konkret Buchhaltung, Revision, Steuerberatung, Unternehmensberatung und Kommunikationsberatung) für in Russland niedergelassene juristische Personen ausgeweitet. Seit dem 7. Oktober 2022 ist auch die Erbringung von Ingenieur- und Architekturdienstleistungen sowie IT-Beratung und Rechtsberatung für in Russland niedergelassene juristische Personen grundsätzlich verboten. Das Verbot enthält jedoch zahlreiche Ausnahmen. Wir klären auf, was zulässig ist und was nicht.

 1. Das achte EU-Sanktionspaket

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2022 ergänzte der Rat der Europäischen Union die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Massnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren („VO 833/2014“). Das achte Sanktionspaket wurde noch am gleichen Tag im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

1.1 Ausweitung des Verbots der Erbringung bestimmter Dienstleistungen

Durch die neuen Sanktionsmassnahmen wurde das bestehende Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen für die Russische Föderation ausgeweitet. Neu ist die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen sowie IT-Beratung und Rechtsberatung für die Regierung Russlands oder in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen verboten.

Konkret wurde in Art. 5n der VO 833/2014 folgender neuer Absatz 2 eingefügt:

(2) Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen, Rechtsberatung und IT-Beratung zu erbringen für

a) die Regierung Russlands oder

b) in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen.

Die neuen Verbote traten in der Europäischen Union am 7. Oktober 2022 in Kraft.

1.2 Umsetzung in der Schweiz?

Wenngleich die Schweiz selbständig darüber entscheidet, inwiefern sie sich den Sanktionen der Europäischen Union anschliesst, ist davon auszugehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, ehe der Schweizer Bundesrat die von der EU mit dem 8. Sanktionspaket beschlossenen Sanktionen vollständig übernimmt. Schliesslich hat der Bundesrat bereits am 12. Oktober 2022 den Anhang 8 der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine vom 4. März 2022 (SR 946.231.176.72) dahingehend angepasst, dass die Sanktionsliste der Schweiz vollständig jener der Europäischen Union entspricht. Des Weiteren hat das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung bereits über die anderen Massnahmen informiert und mit den Arbeiten für den Fall einer Übernahme dieser neuen Sanktionsmassnahmen durch den Bundesrat begonnen.

2. Verbot von Architektur- und Ingenieurdienstleistungen sowie Rechtsberatung und IT-Beratung für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen

2.1 Architektur- und Ingenieurdienstleistungen

Architektur- und Ingenieurdienstleistungen umfassen auch integrierte Ingenieurbürodienstleistungen, Dienstleistungen von Städteplanern und Landschaftsarchitekten sowie mit Ingenieurdienstleistungen zusammenhängende wissenschaftliche und technische Beratungsdienstleistungen. Vom Verbot nicht erfasst ist die technische Hilfe im Zusammenhang mit nach Russland ausgeführten Gütern, wenn deren Verkauf, Erbringung, Weitergabe oder Ausfuhr zum Zeitpunkt, zu dem diese technische Hilfe geleistet wird, nicht verboten ist.

2.2 IT-Beratungsdienstleistungen

IT-Beratungsdienstleistungen umfassen Beratungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Installation von Computerhardware, Unterstützungsleistungen für Kunden bei der Installation von Computerhardware und Computernetzen sowie Softwareimplementierungsdienste einschliesslich Beratungsdienstleistungen zur Entwicklung und Implementierung von Software.

2.3 Rechtsberatungsdienstleistungen

Das Verbot der Rechtsberatung für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen betrifft in erster Linie Rechtsanwälte, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben. Indes dürften auch Rechtsanwälte, die Russland aktiv sind und Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind, vom Verbot erfasst werden.

Verboten ist die Rechtsberatung in nichtstreitigen Angelegenheiten, einschliesslich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht, die Teilnahme an Handelsgeschäften, Verhandlungen oder sonstigen Geschäften mit Dritten mit oder im Namen solcher Mandanten sowie die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten.

Vom Verbot nicht umfasst ist die Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im Rahmen von Rechtsvertretungsdienstleistungen, insbesondere in Angelegenheiten oder Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren. Damit soll das Recht auf Verteidigung gewahrt bleiben. Das Verbot der Rechtsberatung erstreckt sich ferner nicht auf russische Privatpersonen (siehe aber auch 2.4).

2.4 Unmittelbare und mittelbare Rechtsberatung

Verboten ist sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Erbringung von Architektur-, Ingenieur-, IT-Beratungs- und Rechtsberatungsdienstleistungen. Entsprechend ist die Beratung eines Klienten unzulässig, wenn dieser die Erkenntnisse dann einer in Russland niedergelassenen juristischen Person, Organisation oder Einrichtung weitergibt.

2.5 Ausnahmen vom Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen

2.5.1 Ausgenommene Leistungsempfänger

Das Verbot der Erbringung von bestimmten Dienstleistungen gilt nicht für die Erbringung von Dienstleistungen die zur ausschliesslichen Nutzung durch in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen bestimmt sind, welche sich im Eigentum oder unter der alleinigen oder gemeinsamen Kontrolle einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung befindet, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, eines dem Europäischen Wirtschaftsraum angehörenden Landes, der Schweiz, der USA, Japan, des Vereinigten Königreichs oder Südkorea gegründet wurde oder eingetragen ist.

2.5.2 Ausgenommene Leistungen

Dienstleistungen, die unbedingt erforderlich sind, um vor dem Inkrafttreten des Verbotes der jeweiligen Dienstleistung geschlossene Verträge oder für deren Erfüllung erforderliche Verträge bis zum 5. Juli 2022 resp. 8. Januar 2023 zu beenden, sind zulässig.

Ebenfalls ausgenommen vom Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen sind Dienstleistungen, die für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf unbedingt erforderlich sind. Weiterhin zulässig sind auch Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder für die Anerkennung oder Vollstreckung eines Gerichtsurteils oder eines Schiedsspruchs aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union unbedingt erforderlich sind.

Schliesslich gilt das Verbot von Architektur- und Ingenieurdienstleistungen sowie Rechtsberatung und IT-Beratung nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die für Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die dringliche Abwendung oder Eindämmung eines Ereignisses, das voraussichtlich schwerwiegende und wesentliche Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit von Menschen oder die Umwelt haben wird, oder für die Bewältigung von Naturkatastrophen erforderlich sind.

2.5.3 Ausnahmebewilligung

Die zuständigen Behörden können die gemäss Art. 5n VO 833/2014 verbotenen Dienstleistungen unter ihnen angemessen erscheinenden Bedingungen genehmigen, wenn diese erforderlich sind für.

a) humanitäre Zwecke

b) zivilgesellschaftliche Aktivitäten zur direkten Förderung der Demokratie, der Menschenrechte oder der Rechtsstaatlichkeit in Russland;

c) die Tätigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten oder von Partnerländern in Russland, einschließlich Delegationen, Botschaften und Missionen, oder internationaler Organisationen in Russland, die nach dem Völkerrecht Immunität genießen;

d) die Sicherstellung der kritischen Energieversorgung in der Europäischen Union und den Kauf von Titan, Aluminium, Kupfer, Nickel, Palladium und Eisenerz oder deren Einfuhr oder Beförderung in die Europäische Union;

e) die Gewährleistung des kontinuierlichen Betriebs von Infrastrukturen, Hardware und Software, die für die Gesundheit und Sicherheit von Menschen oder die Sicherheit der Umwelt von grundlegender Bedeutung sind;

f) die Einrichtung und den Betrieb ziviler nuklearer Kapazitäten, ihre Instandhaltung, ihre Versorgung mit und die Wiederaufbereitung von Brennelementen und ihre Sicherheit und die Weiterführung der Planung, des Baus und die Abnahmetests für die Indienststellung ziviler Atomanlagen, die Lieferung von Ausgangsstoffen zur Herstellung medizinischer Radioisotope und ähnlicher medizinischer Anwendungen oder kritischer Technologien zur radiologischen Umweltüberwachung sowie für die zivile nukleare Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung, oder

g) die Erbringung elektronischer Kommunikationsdienste durch Telekommunikationsbetreiber der Europäischen Union, die für den Betrieb, die Instandhaltung und die Sicherheit, einschließlich der Cybersicherheit, elektronischer Kommunikationsdienste in Russland, der Ukraine, der Europäischen Union, zwischen Russland und der Europäischen Union sowie zwischen der Ukraine und der Europäischen Union sowie für Rechenzentrumsdienste in der Europäischen Union erforderlich sind

3. Ausblick

Architektur- und Ingenieurdienstleistungen sowie Rechtsberatung und IT-Beratung für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen sind seit dem 7. Oktober 2022 in der Europäischen Union und von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union grundsätzlich verboten. Indes enthält das Verbot zahlreiche Ausnahmen. Weiterhin erlaubt sind etwa Dienstleistungen, die für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf unbedingt erforderlich oder zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren unbedingt erforderlich sind. Diese Ausnahmebestimmung sind aus rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu eng auszulegen. Darüber hinaus ist die Rechtsberatung weiterhin zulässig, wenn der Mandant im Eigentum oder unter Kontrolle einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung befindet, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, eines dem Europäischen Wirtschaftsraum angehörenden Landes, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Japan, Südkorea oder den USA gegründeten oder eingetragen wurde.