24. September 2018

Die Crux mit dem Ortsbildschutz

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Lange wurde dem Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz kaum Beachtung geschenkt. Dies änderte sich mit einem Bundesgerichtsurteil im Jahr 2009. Seither hat sich vieles getan.

Erschienen in der NZZ vom 24. September 2018, Seite 14

Lange wurde dem Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz kaum Beachtung geschenkt. Dies änderte sich mit einem Bundesgerichtsurteil im Jahr 2009. Seither hat sich vieles getan. Eine Übersicht über 1200 Ortsbilder von nationaler Bedeutung umfasst das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (Isos), das vom Bundesrat 1982 erlassen wurde. Sie alle verdienen die ungeschmälerte Erhaltung in besonderem Masse. Im Vordergrund stehen nicht einzelne Objekte, sondern die Struktur einer Siedlung und das Zusammenspiel zwischen Landschaft und Bebauung. In der Regel handelt es sich um Dauersiedlungen mit mindestens zehn Hauptbauten. Auch die Städte Zürich oder Genf wurden als schützenswerte Ortsbilder von nationaler Bedeutung qualifiziert und in das Inventar aufgenommen.

Über die Aufnahme in das Inventar, die Änderung oder die Streichung von Objekten entscheidet der Bundesrat, wobei die Anträge vom Bundesamt für Kultur vorbereitet werden. Dieses hat einen ständigen Isos-Bewertungsausschuss eingerichtet, der gewährleistet, dass Ortsbilder schweizweit nach derselben Methode aufgenommen werden. Massgebend für die Aufnahme sind unter anderem Lagequalitäten, räumliche und architektur-historische Qualitäten. Im Rahmen der Inventarisierung werden die als schützenswert eingestuften Ortsbilder in einzelne Ortsbildteile aufgeteilt und mit sogenannten Erhaltungszielen belegt, die von «Erhalten der Substanz», was einem Abbruchverbot gleichkommt, über «Erhalten der Struktur» (Bewahrung der Anordnung und Gestalt der Bauten) bis «Erhalten des Charakters» (Wahrung des Gleichgewichts zwischen Alt- und Neubauten) reichen.

 

Anwendbarkeit des Inventars

Von Gesetzes wegen ist das Isos – und damit seine Erhaltungsziele – nur bei der Erfüllung von Bundesaufgaben verbindlich, etwa beim Neubau von Nationalstrassen. Das änderte sich jedoch im Jahr 2009, als das Bundesgericht im Fall Rüti entschied, dass das Isos auch bei raumplanerischen Aufgaben auf kantonaler und kommunaler Ebene zu berücksichtigen ist – also bei der Erstellung kantonaler und kommunaler Richtpläne und bei der Nutzungsplanung. Als Konsequenz davon müssen Gemeinden beispielsweise beim Erlass von Bau- und Zonenordnungen (BZO) oder Gestaltungsplänen das Isos berücksichtigen. Gemäss Bundesgericht darf nur dann davon abgewichen werden, wenn eine Interessenabwägung stattfindet und die Abweichung nachvollziehbar begründet werden kann. Nehmen die Behörden die Interessenabwägung nicht korrekt vor, können ihre Entscheide angefochten und aufgehoben werden.

Der Entscheid des Bundesgerichts stiess vielfach auf Kritik. Insbesondere wird vorgebracht, dass die Berücksichtigung des Isos auf kantonaler und kommunaler Ebene die Stadtentwicklung gefährden könne. Im Juni 2018 hielt das Zürcher Verwaltungsgericht zwar fest, dass Einträge im Isos nur für Bundesbehörden verbindlich seien, doch ändert das an der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus dem Jahr 2009 einstweilen nichts. Für private Bauherren ist das Isos nicht direkt anwendbar. Vor dem Hintergrund, dass es gemäss Bundesgericht jedoch unter anderem bei der Erstellung kantonaler und kommunaler Richtpläne und bei der Nutzungsplanung berücksichtigt werden muss und insbesondere die Bau- und Zonenordnung eigentümerverbindlich ist, ist das Isos aber indirekt auch für private Bauherren und ihre Bautätigkeit relevant.


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Politische Vorstösse hängig

Das Hauptziel der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes war, die Siedlungsentwicklung nach innen zu fördern, um die weitere Zersiedelung und den Verbrauch von Landwirtschaftsflächen zu begrenzen. Die Kernanliegen der Siedlungsentwicklung nach innen sind die konsequente Mobilisierung der inneren Reserven sowie das Schaffen von zusätzlichen Verdichtungspotenzialen. Das Isos wiederum soll die Interessen und Ziele des Ortsbildschutzes aus nationaler Sicht aufzeigen und dazu dienen, die Entwicklung eines Orts besser zu verstehen und seine Identität zu bewahren. Es hat zum Ziel, die inventarisierten Ortsbilder möglichst zu erhalten.

Die Berücksichtigung des Isos kann vor diesem Hintergrund im Zusammenhang mit der Verdichtung zu Interessenkonflikten führen. Dies zeigt sich in besonderem Ausmass bei grossen Städten, in denen ein erhöhter Verdichtungsdruck besteht, etwa in der Stadt Zürich, in der gut drei Viertel der Bauzonen mit Isos-Erhaltungszielen belegt sind. Bei zukünftigen Nutzungsplanungen sowie bei raumplanerischen Interessenabwägungen, etwa bei privaten Gestaltungsplänen, sind die Erhaltungsziele gemäss Isos zu berücksichtigen. Die Verdichtung kann dadurch anerkanntermassen erschwert werden. Ein Konflikt liegt zum Beispiel vor, wenn ein Mehrfamilienhaus in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofes im Isos mit dem Erhaltungsziel «Erhalten der Substanz» eingetragen ist und gemäss privatem Gestaltungsplan zugunsten eines modernen Gebäudes abgerissen werden soll. Ein derartiger Eintrag im Isos kann der baulichen Entwicklung des Quartiers entgegenstehen. Der Zielkonflikt zwischen Verdichtung und Isos wurde auch von einzelnen Politikern aus dem Umfeld des Hauseigentümerverbandes erkannt. Am 15. Dezember 2017 haben die Nationalräte Gregor Rutz und Hans Egloff parlamentarische Initiativen eingereicht, um den Konflikt zwischen der angestrebten Verdichtung und dem Isos zu mindern. Konkret soll durch eine Gesetzesanpassung erreicht werden, dass ein Abweichen von der ungeschmälerten Erhaltung im Sinne der Inventare auch dann möglich sein soll, wenn ihr öffentliche Interessen, wie insbesondere die Verdichtung der Siedlungsfläche nach innen, entgegenstehen. Zudem wird angestrebt, dass das Isos bei der Erstellung der Richtpläne durch die Kantone nicht berücksichtigt werden muss. Eine Ausnahme – also ein Zwang zur Berücksichtigung – soll nur dann bestehen, wenn die inventarisierten Bauwerke oder Siedlungen sich durch eine aussergewöhnliche historische Bedeutung oder Einzigartigkeit auszeichnen. Die beiden parlamen¬tarischen Initiativen wurden im Rat noch nicht behandelt.

Ihr Team