02. April 2019

Brexit: Änderungen für CH Unternehmen beim Zoll und in der Exportkontrolle

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Wann und wie (und ob?) der Brexit kommt ist noch unklar, wir beschreiben was Schweizerische Unternehmen beim Zoll und in der Exportkontrolle beachten müssen, falls es zum harten Brexit kommt.

I. Einleitung Brexit

Die Beziehungen Schweiz–Vereinigtes Königreich basieren zum heutigen Zeitpunkt massgeblich auf den bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union (EU), die nach dem EU-Austritt (allenfalls nach Ablauf einer Übergangsphase) nicht mehr auf das Vereinigte Königreich anwendbar sein werden. Die Schweiz will im Verhältnis mit dem Vereinigten Königreich die bestehenden gegenseitigen Rechte und Pflichten über den Zeitpunkt des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs hinaus so weit als möglich sicherstellen und allenfalls ausbauen.

Das zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ausgehandelte Austrittsabkommen sieht eine Übergangsphase vor, die vom 29. März 2019 bis mindestens zum 31. Dezember 2020 dauern würde («Deal-Szenario»). Während dieser Übergangsphase wäre das Vereinigte Königreich weiterhin Teil des europäischen Binnenmarktes und der Zollunion. Die Bestimmungen aus den bilateralen Abkommen Schweiz−EU wären damit auch weiterhin auf die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich anwendbar, sprich im Vergleich zur heutigen Situation würde sich nichts ändern.

Da es nach wie vor sehr unsicher ist, ob das ausgehandelte Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU überhaupt ratifiziert wird, ist nicht auszuschliessen, dass die Übergangsphase gar nicht zustande kommt und das Vereinigte Königreich «ungeordnet» aus der EU austritt («No-Deal»; «Hard-Brexit»). Die Schweiz hat mit dem Vereinigten Königreich am 11. Februar 2019 ein Handelsabkommen unterzeichnet. Dieser Text schafft die Grundlagen für die zukünftigen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern, sowohl für den Fall eines ungeordneten Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU («No Deal»; «Hard-Brexit») als auch für den Fall eines geordneten Austritts («Deal») nach Abschluss der Übergangsphase.

II. Aktueller Stand

Die Beziehung zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich wird sich nach dem «Hard-Brexit» verändern. Ursprünglich sollte das Vereinigte Königreich die EU am 29. März verlassen. Die EU bot dem Vereinigten Königreich eine Verschiebung des Brexits bis zum 22. Mai 2019 an. Bedingung dafür ist allerdings, dass das Unterhaus dem Austrittsvertrag zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April 2019.

Sollte das Vereinigte Königreich ungeordnet aus der EU austreten («No Deal»; «Hard Brexit») wird das bilaterale Handelsabkommen Schweiz-Vereinigtes Königreich ab dem Austrittsdatum vorläufig angewendet werden.

III. Auswirkungen Zoll

Für die Wirtschaftsakteure sind u.a. vor allem das Freihandelsabkommen Schweiz – EU, das Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit sowie das Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren (gVV) von Bedeutung.

Freihandelsabkommen Schweiz−EU (SR 0.632.401.3):

Sollte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU kein Abkommen zustande kommen («No Deal»), ist das Freihandelsabkommen Schweiz – EU ab dem Austrittsdatum nicht mehr auf das Vereinigte Königreich anwendbar. Das von der Schweiz und dem Vereinigten Königreich unterzeichnete Handelsabkommen sieht vor, die im Freihandelsabkommen Schweiz – EU festgelegten gegenseitigen Rechte und Pflichten auf bilateraler Ebene ab dem Austrittsdatum weiterzuführen. Die Bestimmungen des Freihandelsabkommens Schweiz – EU (einschliesslich Protokoll Nr. 2 über den Handel mit verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten) werden somit in ein bilaterales Abkommen Schweiz – Vereinigtes Königreich übernommen.

Präferenzansätze bei der Einfuhr: Ab dem Zeitpunkt des Austritts werden die präferenziellen Ansätze im Rahmen des Handelsabkommens Schweiz-Vereinigtes Königreich, welche mit wenigen Ausnahmen denjenigen des Freihandelsabkommens Schweiz-EU und des Agrarabkommens Schweiz-EU entsprechen, auf das Datum der Anwendung im elektronischen Zolltarif Tares angepasst.

Ursprungsbestimmungen: Grundsätzlich werden die Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens über die Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln (PEM-Übereinkommen; SR 0.946.31) übernommen. Der Geltungsbereich erstreckt sich auf Erzeugnisse der Kapitel 1 bis 97 des Zolltraifs.

Aufgrund der Tatsache, dass die EU und die anderen Vertragsparteien des PEM-Übereinkommens im Verhältnis Schweiz – Vereinigtes Königreich im Falle des «No-Deal»-Szenario als Drittländer gelten würden, ergeben sich jedoch nachfolgende Änderungen.

Kumulation: Bei Vormaterialen mit Ursprung EU können Schweizer Firmen bei Ausfuhren ins Vereinigte Königreich oder Firmen im Vereinigten Königreich bei Ausfuhren in die Schweiz den EU-Ursprung kumulieren, sofern zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ein Freihandelsabkommen oder ein Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich besteht. Diese Regelung gilt für eine Übergangsfrist von drei Jahren. Es muss davon ausgegangen werden, dass bei einem «No-Deal» mindestens temporär entsprechende Abkommen nicht bestehen werden, folglich Vormaterialien mit Ursprung EU mindestens temporär nicht kumuliert werden können. Um bei Ausfuhren ins Vereinigte Königreich oder in die Schweiz mit Vormaterialien anderer Vertragsparteien des PEM-Übereinkommens kumulieren zu können, muss zwischen der Schweiz bzw. dem Vereinigten Königreich und diesen Vertragsparteien ein Freihandelsabkommen bestehen. Bei Ausfuhren in die EU und die anderen Vertragsparteien des PEM-Übereinkommens wird die Kumulation mit Ursprungsvormaterialien aus dem Vereinigten Königreich jedoch erst dann möglich sein, wenn zwischen allen involvierten Parteien Freihandelsabkommen bestehen, welche identische Ursprungsregeln mit den entsprechenden Kumulationsmöglichkeiten vorsehen.

Direktversand: Im Gegensatz zur Direktversandregel des PEM-Übereinkommens können Sendungen in einem Drittland (z.B. in der EU) aufgeteilt werden. Schweizerische Firmen, die Ursprungswaren in Auslieferungslagern in der EU oder einem anderen Drittland lagern, müssen sicherstellen, dass diese Ursprungswaren unverzollt gelagert werden, falls sie später ins Vereinigte Königreich weitertransportiert werden sollen.

Übergangsbestimmungen: Massgebend, welches Abkommen Grundlage für die Präferenzgewährung bildet, ist der Zeitpunkt der Einfuhr (in der Schweiz ist dies der Zeitpunkt der Entstehung der Zollschuld). Bei Waren, die das Ausfuhrland noch vor dem Austrittsdatum verlassen (das Freihandelsabkommen Schweiz-EU gilt auch noch für das Vereinigte Königreich), aber erst nach dem Austrittsdatum zur Einfuhr gelangen, unterliegen dem Handelsabkommen Schweiz-Vereinigtes Königreich.

Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit (ZESA, SR 0.631.242.05)

Sollte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU kein Abkommen zustande kommen, würden sich für schweizerische Unternehmen konkret folgende Änderungen ergeben:

  • Solange das Vereinigte Königreich und die EU keine Vereinbarung analog zum ZESA abschliessen, würde das Vereinigte Königreich aus dem gemeinsamen Sicherheitsraum zwischen der Schweiz, Norwegen und der EU ausscheiden und als Drittland gelten.
  • Transporte auf dem Land- und Luftweg aus der Schweiz ins Vereinigte Königreich müssten wie Sendungen in andere Drittstaaten unter Einhaltung der Bestimmungen im ZESA vor dem Grenzübertritt bei der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) im Voraus angemeldet werden. Allfällige Sicherheitskontrollen würden vor dem Verbringen der Waren in der Schweiz stattfinden (Vorausanmeldung Sicherheit e-dec Export und Vorausanmeldung Sicherheit Export und Transit in NCTS).
  • Für Transporte auf dem Landweg aus dem Vereinigten Königreich in die Schweiz würde die EU wie bei Sendungen aus anderen Drittstaaten beim Eintritt in die EU eine Vorausanmeldung verlangen und allfällige Sicherheitskontrollen durchführen. Da sich die Waren anschliessend bereits im gemeinsamen Sicherheitsraum befinden, müssten bei der Einfuhr in die Schweiz keine weiteren Zollsicherheitsmassnahmen vollzogen werden.
  • Transporte auf dem Luftweg aus dem Vereinigten Königreich in die Schweiz müssten wie Sendungen aus anderen Drittstaaten unter Einhaltung der Bestimmungen im ZESA vor dem Grenzübertritt bei der EZV im Voraus angemeldet werden. Allfällige Sicherheitskontrollen würden nach Ankunft der Waren in der Schweiz stattfinden. Hingegen würden weitere Sicherheitskontrollen entfallen, wenn diese Waren anschliessend von einem Flughafen in der Schweiz in die EU weiterspediert würden.
  • Ob das Vereinigte Königreich bei der Ein- und Ausfuhr von Waren ebenfalls Zollsicherheitsmassnahmen vollziehen würde, ist zurzeit noch offen. Falls dies der Fall sein sollte, wären Sendungen auch im Vereinigten Königreich vor dem Verbringen über die Grenze im Voraus anzumelden.

Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren (gVV)

Das Vereinigte Königreich von Grossbritannien und Nordirland (UK) tritt dem Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren (gVV) als selbständige Vertragspartei bei. Der Beitritt wird wirksam, sobald das Vereinigte Königreich die Europäische Union (EU) verlässt. Somit können auch nach dem Brexit Versandverfahren mit dem Vereinigten Königreich abgewickelt werden.

Zu beachten ist allerdings, dass in Bezug auf die Gesamtsicherheiten die Bürgen formell zusichern, dass die bestehenden Bürgschaften auch für das Vereinigte Königreich als Vertragspartei gelten sowie eine korrekte für das Versandverfahren zuständige Durchgangszollstelle für das Vereinigte Königreich angegeben wird, um Verzögerungen / Probleme an den Grenzübergängen mit dem Vereinigten Königreich zu vermeiden.

IV. Auswirkungen Exportkontrolle

Auch im Bereich der Exportkontrolle ergeben sich Änderungen durch den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU. Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen wurden jedoch im Bereich der Exportkontrolle vorsorglich notwendige rechtliche Vorbereitungsmassnahmen getroffen.

A. Vereinigtes Königreich - EU Verhältnis

Das Vereinigte Königreich überträgt zum Zeitpunkt des Brexits die Europäische Dual-Use Verordnung in das nationale Gesetz. Grundlage hierfür ist der European Union (Withdrawal) Act 2018. Nach dem Brexit wird das Vereinigte Königreich mit Hilfe des «Trade etc. in Dual-Use Items, Firearms and Torture etc. Goods (Amendment) (EU Exit) Regulations 2019» nationale Anpassungen der Gesetzgebung vornehmen können. Hier kann erwartet werden, dass es mittelfristig zu einem abdriften vom EU Regime kommen wird. Bereits im «Sanctions and Anti-Money Laundering Act 2018» ist ein neues vom internationalen und EU Standard abweichendes nationales Element im Gesetz des Vereinigten Königreiches aufgenommen worden, nämlich der Listung von Personen oder Organisationen durch eine Beschreibung («designation by description»).

Als Vorbereitung eines «No-Deal» Szenarios hat das Vereinigte Königreich bereits am 1. Februar 2019 eine neue OGEL («Open General Export License») publiziert (https://bit.ly/2NFWN7j), welche den Export von Dual-Use Gütern aus dem Vereinigten Königreich in die EU ohne aufwändigen Lizenzantrag erlaubt. Voraussetzung ist eine Registrierung im Lizenzsystem SPIRE mit der Angabe über entsprechende Dokumentation zur Transaktionsauditierung. Die neue OGEL würde am Austrittstag um 23.00 Uhr in Kraft gesetzt.

Die EU auf der anderen Seite hat bereits einen Vorschlag für die Anpassung der Council Regulation 428/2009 vorgelegt. Demnach wird bei einem «No-Deal» Szenario das Vereinigte Königreich in die EU001 aufgenommen, also der Liste der «sicheren» Drittländer, in die eine Ausfuhr von den meisten Dual-Use Gütern mit nur geringen Compliance Vorgaben möglich ist.

B. Vereinigtes Königreich - Schweiz Verhältnis

Für schweizerische Exporteure ändert sich durch einen Austritt des Vereinigten Königreichs im Bereich der Exportkontrolle vorläufig wenig. Schon immer musste für den Export von Dual-Use Gütern in das Vereinigte Königreich eine Bewilligung vorliegen. Das Vereinigte Königreich ist bereits aktuell im Anhang 7 der Güterkontrollverordnung explizit gelistet, und fällt damit unter die Länder, welche nach Artikel 12 Abschnitt 1 durch eine ordentliche Generalausfuhrbewilligung abgedeckt werden. Anpassungen für Ausfuhren aus der Schweiz in das Vereinigte Königreich nach einem Brexit sind hier entsprechend nicht notwendig. Auch für Transaktionen für die Einzelbewilligungen beantragt werden, ändert sich praktisch nichts.

Das Vereinigte Königreich auf der anderen Seite übernimmt zunächst das Exportkontrollregime der EU in das nationale Recht. Die Schweiz ist aktuell auf der Länderliste der sicheren Länder der allgemeinen Ausfuhrgenehmigungen der Gemeinschaft EU 001 gelistet und kann so auch weiterhin von einer vereinfachten Ausfuhr mit geringen Compliance Anforderungen profitieren, dann wahrscheinlich als UK001. Auch hier ergeben sich durch den Brexit entsprechend möglicherweise nur marginale Änderungen bei der Bezeichnung und der entsprechenden Deklaration sowie Dokumentation.

C. Operative Auswirkungen Exportkontrolle

Zwar sind die notwendigen regulatorische Anpassungen im Bereich Exportkontrolle bereits eingeplant, in der Praxis dürfte es aber vor allem bei der Registrierung und Bewilligung von Ausfuhren aus dem Vereinigten Königreich zu Verzögerungen kommen, da die Behörden eine hohe Anzahl von Neuregistrierungen sowie Bewilligungsanträgen bearbeiten müssten. Auch sind operative Verzögerungen bei Deklaration und Abfertigungen von Dual-Use Sendungen am Zoll des Vereinigten Königreichs sowohl bei Ein- aber auch bei der Ausfuhr zu erwarten.

V. Auswirkungen Handelsverhältnisse

Die verschiedenen bei einem «No-Deal» insbesondere aus Zollsicht ergebenden Rechtsunsicherheiten haben auch Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen Handelspartnern in den jeweiligen Ländern.

Nicht nur auf Grund von fehlenden Rechtsgrundlagen, sondern auch auf Grund von fehlender Infrastruktur ist insbesondere bei der Einfuhr in das Vereinigte Königreich mit einem höheren administrativen Aufwand, Kosten und Verzögerungen zu rechnen. Aus Sicht eines Schweizer Handelsunternehmens sind die Risiken der Einfuhr der Güter in das Vereinigte Königreich bzw. der Ausfuhr der Güter aus dem Vereinigten Königreich nach Möglichkeit auf den im Vereinigten Königreich domizilierten Handelspartner zu übertragen. Für den Export in das Vereinigte Königreich empfiehlt es sich zum Beispiel Incoterms FCA und für den Import aus dem Vereinigten Königreich zum Beispiel Incoterms CPT zu vereinbaren.

Handelsverträge, Lieferverträge und Distributionsverträge sind an die durch den Brexit verursachten neuen Umstände anzupassen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Lieferfristen und Service Level Agreements (SLA’s), aber auch in Bezug auf die Verantwortlichkeiten der Parteien. Der Brexit dürfte für sich allein mindestens nach englischem Recht nicht als Ereignis qualifizieren, welches eine Partei zur ausserordentlichen Kündigung eines Vertrages («frustrating event») berechtigt. Der englische High Court hat in Bezug auf einen Grundstückmietvertrag mit Entscheid vom 20. Februar 2019 festgehalten, dass der Brexit nicht zur ausserordentlichen Kündigung des Mietvertrages berechtigt (Canary Wharf (BP4) T1 Ltd & Ors v European Medicines Agency [2019] EWHC 335 (Ch)). Selbstverständlich kann dieser Entscheid nicht 1:1 auf alle Vertragsverhältnisse und auch nicht auf Schweizer Recht übertragen werden. Letztlich sind Inhalt und Umstände jedes einzelnen Vertrages massgebend (Definition «wichtiger Grund», Definition «höhere Gewalt», Auswirkung des Brexit auf die unter einem Vertrag konkret zu erbringenden Leistungen, etc.). Unabhängig von der Möglichkeit, Verträge zu kündigen, können Verträge bilateral angepasst werden. Diese Vorgehensweise steht in der Praxis im Vordergrund, zumal regelmässig beide Vertragsparteien in irgendeiner Form vom Brexit betroffen sein dürften.