08. August 2024

Die Biodiversitätsinitiative und ihre mögliche Auswirkung auf Bauvorhaben

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Die Stadt Zürich muss dringend Wohnraum für ihre rasant wachsende Bevölkerung schaffen. Die dafür erforderliche Bautätigkeit steht schon heute vor der Herausforderung, die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes angemessen zu berücksichtigen. Eine Annahme der Biodiversitätsinitiative, über die wir am 22. September 2024 abstimmen, könnte wiederum erhebliche Auswirkungen auf Bauprojekte in urbanen Gebieten haben.

  • Corina Noventa

    Senior Legal Associate

Im Zusammenhang mit dem Natur- und Heimatschutz kommt es am 22. September 2024 zur Abstimmung über die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» (kurz: Biodiversitätsinitiative). Die Biodiversitätsinitiative sieht die Einführung eines neuen ergänzenden Verfassungsartikels zum Natur- und Heimatschutz vor, der insbesondere die Kantone verpflichtet, schutzwürdige Objekte (insb. Landschaften, Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler) im Rahmen ihrer Aufgaben unmittelbar zu berücksichtigen. Der neue Artikel würde zudem einen engen Rahmen für die Interessenabwägung bei erheblichen Eingriffen in Schutzobjekte setzen und damit den Ermessensspielraum der Kantone und Gemeinden einschränken. Zudem verpflichtet er Bund und Kantone, auch ausserhalb der Schutzobjekte für Natur, Landschaft und Baukultur Sorge zu tragen.

Eine Annahme der Initiative könnte erhebliche Auswirkungen auf Bauprojekte haben. Dies gilt insbesondere in städtischen Gebieten wie Zürich, wo die Vorschriften im Bereich des Natur- und Heimatschutzes bereits heute umfangreich sind. Eine Herausforderung in diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Anforderung, bauliche Zeitzeugen für die Zukunft zu erhalten. Bauliche Zeitzeugen sind heute nicht nur mit der Aufnahme in kommunalen und kantonalen Inventaren (als Einzelobjekte), sondern auch durch Erfassung von (oft grossflächigen) Gebieten im Bundesinventar für schützenswerte Ortsbilder der Schweiz (ISOS) geschützt. In der Stadt Zürich sind rund 75 % des gesamten Siedlungsgebiets im Bundesinventar ISOS erfasst und mit Schutzzielen belegt. Es ist entsprechend nicht verwunderlich, dass bei zahlreichen Zürcher Bauprojekten das ISOS zum Thema wird. Die Schutzziele des ISOS sind teilweise sehr einschneidend (Stichwort: Abbruchverbot), sie gelten jedoch nicht absolut. Die Schutzziele sind für ein Bauprojekt nämlich nur dann verbindlich, wenn es zu einer «direkten Anwendung» kommt. Eine direkte Anwendung erfolgt nur, wenn das betroffene Grundstück (bzw. das Gebiet, in welchem es sich befindet) im ISOS verzeichnet ist und gleichzeitig die Erfüllung einer Bundesaufgabe betroffen ist. Zur Überraschung vieler Bauwilligen ist auch bei privaten Grundstücken in der Stadt Zürich nicht selten eine Bundesaufgabe betroffen. Die am häufigsten tangierten Bundesaufgaben sind dabei bspw. Eingriffe ins Grundwasser, Bauvorhaben innerhalb des Gewässerraums, Bau von Mobilfunkantennen, Bau von Zivilschutzanlagen bzw. Schutzräumen oder Bau von PV-Anlagen.

Für Bauwilligen bedeutet ein Eintrag im ISOS also zunächst die Notwendigkeit einer fundierten Abklärung, ob es zu einer direkten Anwendung der Schutzziele kommt. Dies führt im besten Fall zu einer Verzögerung, unter Umständen zu einer Anpassung, nicht selten aber zum Ende des Bauprojekts. Aus diesem Grund forderte die Stadt Zürich jüngst in einer Medienmitteilung vom 26. Juni 2024 eine Anpassung bei der ISOS-Direktanwendung von Bund und Kanton. Sie soll zukünftig nur dann erfolgen, wenn ein materieller Zusammenhang zwischen dem Inventar und der identifizierten Bundesaufgaben besteht. Gemäss Medienmitteilung wäre dies beispielsweise der Fall, wenn Mobilfunkantennen gebaut werden, die im geschützten Ortsbild auch wirklich sichtbar sind. Gemäss Zürcher Hochbauvorsteher André Odermatt «ist [das ISOS] ein geschätztes Instrument. Mit der Direktanwendung wird das Fuder aber überladen».

Von Seiten der Initiativgegner besteht die Sorge, dass sich die Situation durch Annahme der Biodiversitätsinitiative noch verschärfen könnte. Befürchtet wird konkret, dass es zu noch strengeren Vorgaben im Baubewilligungsverfahren kommt, die zusätzliche Einschränkungen der baulichen Entwicklungsmöglichkeiten mit sich bringen.

Im Vorfeld der Abstimmung vom 22. September 2024 hat das Stimmvolk erneut Gelegenheit, sich mit den wichtigen und komplexen Fragen der Vereinbarkeit von Wachstum und dem Schutz von Natur- und Kulturerbe auseinanderzusetzen und sich Gedanken dazu zu machen, wie eine ausgewogene Lösung für die bauliche und ökologische Zukunft der Schweiz aussehen könnte.

Sollten Sie rechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem ISOS, der Biodiversitätsinitiative oder einem Bauvorhaben generell haben, steht Ihnen unser Bau- und Immobilienrechtsteam gerne beratend zur Seite.