29. Juni 2021

Sorgfalts- und Transparenzpflichten im Zusammenhang mit Kinderarbeit

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Die neuen Bestimmungen im OR aufgrund des indirekter Gegenvorschlag zur gescheiterten Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» bringen u.a. die Pflicht von Schweizer Unternehmen, die in ihrer Lieferkette dem Risiko von Kinderarbeit ausgesetzt sind, themenspezifische Sorgfaltspflichten einzuhalten. Der Magazinbeitrag beleuchtet näher, von wem genau welche Sorgfalts- und Transparenzpflichten im Bereich Kinderarbeit einzuhalten sind und welche Ausnahmen bestehen.

Die Eidgenössische Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“, wurde am 29. November 2020 aufgrund des Ständemehrs abgelehnt. Damit kommt der indirekte Gegenvorschlag der Bundesversammlung zum Zug. Aufgrund eingegangener Beschwerden beim Bundesgericht, auf die es am 23. März 2021 nicht eintrat oder welche es abschrieb, gab der Bundesrat erst am 27. April 2021 den Erwahrungsbeschluss bekannt und publizierte den Beschluss „Obligationenrecht – Indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative“ („Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“) gleichentags im Bundesblatt. Damit fing die 100-tägige Frist für das fakultative Referendum an zu laufen. Sofern kein Referendum gegen die neuen Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten ergriffen wird, ist gegenwärtig mit dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen per 1. Januar 2022 zu rechnen.

Die neuen Bestimmungen im OR bringen einerseits nicht finanzielle Berichterstattungspflichten und andererseits die Pflicht von Schweizer Unternehmen, die Mineralien und Metalle aus Konfliktgebieten einführen oder in ihrer Lieferkette dem Risiko von Kinderarbeit ausgesetzt sind, themenspezifische Sorgfaltspflichten einzuhalten. Da die neuen Bestimmungen in Bezug auf die Abschnitte Konfliktmineralien und Kinderarbeit teilweise eine Umsetzung auf Verordnungsstufe erfordern, hat der Bundesrat an seiner Sitzung am 14. April 2021 Ausführungsbestimmungen zu den neuen Sorgfaltspflichten von Unternehmen in die Vernehmlassung geschickt. Die Vernehmlassung wird noch bis zum 14. Juli 2021 dauern.

Im Folgenden soll ausschliesslich näher beleuchtet werden, von wem genau welche Sorgfalts- und Transparenzpflichten im Bereich Kinderarbeit einzuhalten sind und welche Ausnahmen bestehen.

I.      Betroffene Unternehmen von den Sorgfalts- und Transparenzpflichten

Unternehmen, deren Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung sich in der Schweiz befindet, müssen in der Lieferkette Sorgfaltspflichten einhalten und darüber Bericht erstatten, wenn durch sie Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden, für die ein begründeter Verdacht besteht, dass sie von Kindern hergestellt oder erbracht wurden.

II.     Ausnahmen von der Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten im Bereich Kinderarbeit

Die Ausführungsbestimmungen in der Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metalle aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit («VSoTr») definieren in drei Prüfschritten unter welchen Voraussetzungen Unternehmen nicht prüfen müssen, ob ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht.

Erster Prüfschritt: Unterschreitet ein Unternehmen, zusammen mit allfälligen von ihm kontrollierten Unternehmen, zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren muss es keine weiteren Prüfungen vornehmen:

      a) Bilanzsumme von 20 Millionen Franken

      b) Umsatzerlös von 40 Millionen Franken

      c) 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.

Zweiter Prüfschritt: Falls das Unternehmen die Schwellwerte erreicht oder überschreitet, muss es prüfen, ob die Länder, aus denen es Produkte oder Dienstleistungen bezieht, geringe Risiken oder mittlere bzw. hohe Risiken im Bereich Kinderarbeit aufweisen. Der erläuternde Bericht zur Verordnung konkretisiert hier, dass die jährlich zu machende Risikoprüfung auf das Produktionsland gemäss Herkunftsangabe («made in») beschränkt werden darf. Ein geringes Risiko wird angenommen, wenn ein Land vom UNICEF Children’s Rights in the Workplace Index als «Basic» eingestuft wird. Im heutigen Zeitpunkt gehören hierzu Länder wie Australien, Österreich und die Schweiz. In diesem Fall kann die Prüfung mit dem zweiten Prüfschritt abgeschlossen werden.

Dritter Prüfschritt: Sind die Schwellenwerte überschritten und ergibt die Länderrisikoprüfung gemäss dem UNICEF Children’s Rights in the Workplace Index ein erhöhtes Risikorating (Risikoeinstufung «Enhanced» oder «Heightened» gemäss UNICEF INDEX), ist in einem dritten und letzten Schritt zu prüfen, ob im konkreten Fall ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit vorliegt. Dies wäre der Fall, wenn konkrete Hinweise oder mehrere konkrete Anhaltspunkte resp. Wahrnehmungen vorliegen, welche einen Einsatz von Kinderarbeit bei der Herstellung des Produkts bzw. Erbringung der Dienstleistung befürchten lassen. Wichtig zu wissen ist, dass es sich nicht bei jeder Tätigkeit, die eine Person unter 18 Jahren ausübt, automatisch um Kinderarbeit handelt. Ob Kinderarbeit vorliegt, hängt vom Alter, Typ der Arbeit und von den Arbeitsbedingungen ab. Zu Ländern mit erhöhtem Risikorating gehören im heutigen Zeitpunkt beispielsweise die USA und Bangladesch.

Kann nach gemachter Prüfung kein konkreter begründeter Verdacht auf Kinderarbeit festgestellt werden, ist das Unternehmen von den Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten im Bereich Kinderarbeit befreit.

III.     Ausnahmen von der Sorgfaltspflichten aufgrund der Einhaltung von international anerkannten gleichwertigen Regelwerken

Weiter legt die VSoTr fest, dass betroffene Unternehmen, welche die ILO-Übereinkommen Nr. 138 und 182 sowie entweder (i) das «ILO-IOE Child Labour Guidance Tool for Business vom 15. Dezember 2015» (ILO-IOE Child Labour Guidance Tool) oder (ii) den «OECD-Leitfaden vom 30. Mai 2018 für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln» in ihrer Gesamtheit anwenden, einen Bericht gemäss den gewählten Regelwerken verfassen und in diesem Bericht die verwendeten international anerkannten Regelwerke nennen, ebenfalls von den Sorgfaltspflichten aufgrund der Einhaltung von international anerkannten gleichwertigen Regelwerken befreit sind.

IV.    Die umfassten Sorgfaltspflichten

Findet auf das betroffene Unternehmen keine von den oben beschriebenen Ausnahmen Anwendung, sind folgende Sorgfaltspflichten einzuhalten:

A.     Managementsystem

Zunächst wird verlangt, dass ein betroffenes Unternehmen ein Managementsystem einführt. Ein Managementsystem ist eine Darstellung von Prozessen, Instrumenten und Methoden, mit denen ein Unternehmen seine Tätigkeit auf konkrete Zielsetzungen ausrichtet. Das Unternehmen muss für Produkte oder Dienstleistungen, für die ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht, seine Lieferkettenpolitik und ein System festlegen, mit dem die Lieferkette zurückverfolgt werden kann.

B.    Risikomanagementplan

Weiter muss ein Risikomanagementplan erstellt werden. Ein Risikomanagementplan beschreibt die Methoden, die das Unternehmen zur Ermittlung, zur Analyse und zur Gewichtung der Risiken schädlicher Auswirkungen der Geschäftstätigkeit in der Lieferkette einsetzt. Er beschreibt den Ansatz für die Risikominimierung sowie wichtige Meilensteine bezogen auf die Umsetzung der getroffenen Massnahmen. Wie detailliert dieser Risikomanagementplan sein muss, richtete sich nach Art und Grösse des Unternehmens, sowie nach der Natur der Geschäftstätigkeit.

Nähere Ausführungen zu den beiden Sorgfaltspflichte hinsichtlich den materiellen aber auch formellen Anforderungen macht die VSoTr. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass es sich bei den Sorgfaltspflichten um Bemühungs- und nicht Erfolgspflichten handelt. Aus diesem Grund besteht kein absolutes Verbot des Imports von Produkten oder Dienstleistungen mit begründetem Verdacht auf Kinderarbeit. Vielmehr soll sich der vom Gesetzgeber angestrebte Zielzustand aus einem kontinuierlichen Einwirken aus Sorgfaltspflichten und Erfüllungstransparenz auf das Spiel der Marktkräfte ergeben.

Die neuen Sorgfalts- und Transparenzpflichten betreffen deshalb insbesondere Verwaltungsräte, VR-Sekretäre, Legal Counsel und Sustainability und Compliance Manager und sind in die üblichen Rechenschafts- und Berichtspflichten sowie in das interne Kontrollsystem zu integrieren.

Das MME ESG-Team unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung der neuen Bestimmungen. Wir bieten Workshops (Themen: Unterstellungspflicht, Aufbau Managementsystem, Tools und Massnahmen zur Überwachung der Lieferkette, Berichterstattung) an, geben Legal Opinions ab (insbesondere Negative Assurance Reports falls Ausnahmen zur Anwendung kommen) und unterstützen bei der notwendigen Compliance Dokumentation (Code of Conduct; ESG-Klauseln in Lieferverträgen; etc.).