05. Juli 2022

Digitalisierung in der Versicherungsbranche: Parametrische Versicherungen

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Digitale Technologien und Innovationen wie künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT), Distributed Ledger Technologies (DLT), Smart Contracts oder Data Mining (DM) führen auch in der Versicherungsbranche zu einem grundlegenden Überdenken der gesamten Wertschöpfungskette.

Merkmale der parametrischen Versicherung

Im Bereich Produktentwicklung/Underwriting/ Schadenmanagement ermöglichen die sog. parametrische Versicherungen interessante Neuerungen. Parametrische Strukturen wurden im Zusammenhang mit Katastrophenrisiken in der Rückversicherung schon seit längerem verwendet (derivative Versicherungsprodukte), erleben aber im Zuge der Digitalisierung eine vermehrte Aufmerksamkeit auch im Erstversicherungsgeschäft.Relevante Merkmale einer parametrischen Versicherung sind:
  • Die versicherte Gefahr beinhaltet eine vordefinierte Messgrösse anhand eines bestimmten Parameters oder unabhängigen/objektiven Indexes (z. B. Erdbebenstärke, Windstärke, Flugverspätungsdauer, Pegelstand von Gewässern, Volatilität Energieproduktion bei erneuerbaren Energien wie Wind- oder Sonnenstärke, Netzausfälle etc.)

  • Der Versicherungsfall tritt bei Über- oder Unterschreiten der Messgrösse («triggering event») ein

  • Die Versicherungsleistung ist pauschalisiert und unabhängig vom tatsächlich erlittenen Schaden.

Vor- und Nachteile der parametrischen Versicherung

Attraktiv für Versicherte ist die Transparenz und Effizienz der parametrischen Versicherung. Der Anspruch auf die Versicherungsleistung sowie die Versicherungsleistung selbst sind klar festgelegt, es gibt keine Schadenuntersuchungen und es sollte grundsätzlich auch keine Deckungsstreitigkeiten geben. Für den Versicherer ist das Schadenmanagement effizient, einfach und günstig, und das Problem der asymmetrischen Information zwischen Versicherern und Versicherten wird reduziert.

Mittels der Smart-Contract Technologie kann die Effizienz der parametirischen Versicherungen nochmals gesteigert werden, da die Parameter oder die Daten eines unabhängigen/objektiven Indexes leicht über ein sogenanntes «Oracle» in eine autonome Abwicklungsinfrastruktur eingespiesen werden können. Die dazu erforderlichen Daten können sodann direkt und vollautomatisiert über entsprechende Sensoren in IoT Anwendungen generiert werden (z.B. Feuchtigkeit, Hitze, technisches Systemversagen etc.). Bei Eintreten eines triggering events kann die Überweisung der Versicherungsleistung durch den Smart Contract innert Sekundenschnelle veranlasst werden.

Die Schwierigkeit der parametrischen Versicherung besteht darin, für das Über- bzw. Unterschreiten der gewünschten Messgrösse eine angemessene Versicherungsleistung zu bestimmen. Es besteht konkret das Risiko einer zu hohen oder zu tiefen Versicherungsleistung (Basisrisiko, «near miss»). Deshalb dürfte die parametrische Versicherung in vielen Fällen kein (vollständiger) Ersatz einer auf den konkreten Schaden basierenden Versicherung sein.

Je nach Jurisdiktion könnte es sodann problematisch sein, falls die Versicherungsleistung infolge Pauschalisierung des Schadens höher ausfällt als der effektiv entstandene Schaden oder wenn ein erlittener Vermögensschaden keine Voraussetzung für eine Versicherungsleistung bildet (Summenversicherung).

Summen- oder Schadenversicherung

In der Schweiz können die Parteien nicht nur bei Personenversicherungen, sondern im gesamten Bereich der Privatversicherung eine Summenversicherung oder eine Schadenversicherung abschliessen. Dies wurde schon vor der Teilrevision des VVG als zulässig angesehen und mit der Streichung der bisherigen Bestimmungen zum Versicherungs- und Ersatzwert im Rahmen der Teilrevision zusätzlich klargestellt. Die Schadenversicherung dient dazu, einen Schaden, welcher als Folge des versicherten Ereignisses eintrifft, ganz oder teilweise auszugleichen, wobei der Schaden auch pauschalisiert festgelegt werden kann. Die Summenversicherung hingegen hat keinen ausgleichenden Charakter, sie ist eine bei Vertragsabschluss festgelegte Leistung, die unabhängig von der tatsächlichen Höhe des wirtschaftlichen Schadens geschuldet ist. Von grosser praktischer Relevanz ist die Unterscheidung hinsichtlich des sog. Kumulationsrechts. Summenversicherungen können kumuliert, Schadenversicherungsleistungen müssen an andere Leistungen angerechnet werden. Gemäss bisheriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt eine Summenversicherung vor, wenn die Parteien die vereinbarte Leistung des Versicherers einzig vom Eintritt des Versicherungsfalls abhängig gemacht haben, ohne Rücksicht auf seine finanziellen Konsequenzen und dem Vorhandensein eines möglichen Schadens. Zum anderen besteht eine Schadensversicherung, wenn der tatsächliche Vermögensverlust eine eigenständige Bedingung für den Leistungsanspruch darstellt.

Eine parametrische Versicherung kann gemäss dem Parteiwillen sowohl als Schaden- als auch Summenversicherung ausgestattet werden. Damit wird die Willensentscheidung der Vertragsparteien zur Massgabe. Nicht vom Vertragswillen abhängig ist selbstverständlich die Koordination mit Einrichtungen für die soziale Sicherheit und Schadenausgleich. Die Ausgestaltung der parametrischen Versicherung als Summenversicherung ermöglicht eine effizientere Schadenbearbeitung, da eine Koordination mit anderen Versicherern nicht nötig ist. Der Versicherer muss gemäss revidiertem VVG in jedem Fall darüber informieren, ob es sich beim Versicherungsschutz um eine Summen- oder eine Schadenversicherung handelt.

Abgrenzung zu weiteren Bereichen

Fragen bestehen im Zusammenhang mit parametrischen Summenversicherungen im Hinblick auf die Abgrenzung des Versicherungsvertrages zu einem Derivat einerseits und zum Spielgeschäft anderseits. Ein Versicherungsgeschäft sollte immer dann vorliegen, solange eine der Aufsicht unterstehende Versicherungstätigkeit zumindest einer Partei vorliegt, diese somit planmässig selbständige Versicherungsverträge – Transfer des Risikos gegen eine Prämie – abschliesst.