10. Oktober 2022

Aktienrechtsrevision - Die Generalversammlung im neuen Kleid?

  • Artikel
  • Legal
  • Notariat
  • Transaktionen / M&A

Das neue Aktienrecht, welches am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, sieht verschiedene Neuerungen betreffen die Ausgestaltung der Generalversammlung der Aktionäre vor.

Aktienrechtsrevision – Die Generalversammlung im neuen Kleid?

Die Generalversammlung der Aktionäre («GV») ist das oberste Organ der Aktiengesellschaft. Dementsprechend fallen wichtige Befugnisse in die unübertragbare Kompetenz der GV. Betreffend die Ausgestaltung der GV sieht das neue Aktienrecht, welches am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, verschiedene Neuerungen vor.

Bisheriges Recht

Gemäss dem Schweizerischen Obligationenrecht müssen Aktiengesellschaften innert sechs Monaten seit dem Abschluss des Geschäftsjahres eine ordentliche GV durchführen. Bisher mussten die Aktionäre oder deren Vertreter sich physisch treffen. Dies rührt aus dem Prinzip der Unmittelbarkeit, welches einen gegenseitigen (unmittelbaren) Informationsaustausch zwischen den Aktionären einerseits und dem Verwaltungsrat andererseits gewährleisten soll.

Neuerungen aufgrund der Covid-19 Verordnung 3

Während der Covid-19-Pandemie wurde die Möglichkeit zur Durchführung einer elektronischen bzw. virtuellen GV eingeführt. Die massgebliche Covid-19 Verordnung 3 («Verordnung») ist noch bis Ende des Jahres 2022 in Kraft. Dies bedeutet, dass Gesellschaften bis dahin gestützt auf die Verordnung die Möglichkeit haben, ihre GV auf dem schriftlichen Weg, in elektronischer Form oder mit einem unabhängigen Stimmrechtsvertreter abzuhalten.

Neuerungen aufgrund der Aktienrechtsrevision

Im Rahmen der Aktienrechtsreform wird das Institut der GV den Gegebenheiten der heutigen Zeit angepasst und eine grössere Flexibilität bei deren Organisation und Durchführung eingeräumt. Nebst den Neuerungen betreffend die Ausgestaltung der GV, sieht das neue Aktienrecht etwa auch Neuerungen beim Traktandierungs- und Antragsrecht, beim Stichentscheid des Vorsitzenden sowie bei der Zustellung des Geschäftsberichts vor. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich jedoch auf die neuen Formen der GV mit Fokus auf die virtuelle GV.

Zulässige Formen der GV

Die bis anhin zulässigen Formen der GV und auch das Institut der Stimmrechtsvertretung bleiben unverändert zulässig. Unter dem neuen Recht sind zudem folgende Formen der GV möglich – wobei die allgemeinen Regeln betreffend die GV (wie etwa Einberufungsbestimmungen), anderslautende Bestimmungen vorbehalten, weiterhin Geltung behalten:

Virtuelle GV: Die GV wird ausschliesslich mit elektronischen Mitteln durchgeführt – es gibt keinen physischen Tagungsort. Hierzu bedarf es einer entsprechenden statuarischen Grundlage und der Verwaltungsrat hat in der Einberufung zur GV einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen. Nicht-börsenkotierte Aktiengesellschaften können in ihren Statuten einen Verzicht auf das Erfordernis des unabhängigen Stimmrechtsvertreters vorsehen.

Direct voting: Der Verwaltungsrat kann vorsehen, dass Aktionäre, die nicht am Ort der GV anwesend sind, ihre Rechte auf dem elektronischen Weg ausüben können. Dies bedeutet, dass die GV mit einem physischen Tagungsort durchgeführt wird, die Aktionäre ihre Rechte jedoch auch ohne physische Teilnahme auf dem elektronischen Weg ausüben können.

Multilokale GV: Die GV wird gleichzeitig an verschiedenen Orten durchgeführt. Die Voten der Teilnehmer sind unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte zu übertragen.

GV im Ausland: Die GV kann im Ausland durchgeführt werden – vorausgesetzt, dass dies in den Statuten vorgesehen ist und der Verwaltungsrat in der Einberufung einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnet. Auf das Erfordernis der Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters kann bei nicht-börsenkotierten Aktiengesellschaften verzichtet werden, wenn alle Aktionäre damit einverstanden sind. Beschlüsse, die der öffentlichen Beurkundung bedürfen, können nicht von einem Schweizer Notar beurkundet werden, wenn die GV ausschliesslich im Ausland durchgeführt wird – es ist jeweils die Gesetzgebung am Tagungsort zu beachten. Wird die Einführung der GV im Ausland in Betracht gezogen, sollten vorab allfällige steuerliche Auswirkungen in diesem Zusammenhang geprüft werden.

GV mit schriftlicher Stimmabgabe: Beschlüsse der GV können auf schriftlichem oder elektronischem Weg gefasst werden, sofern nicht ein Aktionär oder dessen Vertreter eine mündliche Beratung verlangt. Es kann dabei zwischen der sog. Urabstimmung und dem Zirkularbeschluss differenziert werden. Bei der Urabstimmung handelt es sich um einen schriftlichen Mehrheitsbeschluss, wobei nicht zwingend sämtliche Aktionäre teilnehmen müssen. Hierbei sind die Einberufungsvorschriften allerdings (zumindest in analoger Weise) anwendbar. D.h. das Antragsrecht und eine mind. 20-tägige Frist zur Stimmabgabe müssen gewahrt werden. Ein Zirkularbeschluss kommt demgegenüber nur mit ausdrücklicher Stimmabgabe sämtlicher Aktionäre zustande. Hierbei müssen die Einberufungsformalitäten nicht beachtet werden.

Kein Anspruch der Aktionäre auf bestimmte Form oder bestimmten Tagungsort

Die Aktionäre haben keinen Anspruch darauf, in welcher Form und/oder an welchem Ort eine GV durchgeführt wird. Der Tagungsort der GV wird vom Verwaltungsrat bestimmt. Das Gesetz hält lediglich fest, dass durch die Festlegung des Tagungsortes für keinen Aktionär die Ausübung seiner Rechte im Zusammenhang mit der GV in unsachlicher Weise erschwert werden darf.

Voraussetzungen für die Verwendung elektronischer Mittel

Die Kompetenz betreffend die Ausgestaltung und die Verantwortung liegen beim Verwaltungsrat. Das Gesetz hält einzig fest, dass der Verwaltungsrat die Verwendung elektronischer Mittel regelt und sicherstellt, dass i) die Identität der Teilnehmer feststeht, ii) die Voten in der GV unmittelbar übertragen werden, iii) jeder Teilnehmer Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen kann, und iv) das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann.

Virtuelle GV im Besonderen

Bei einer virtuellen GV sind verschiedene Aspekte zu beachten:

Zugang: Der technische Zugang zur virtuellen GV darf weder verweigert noch unverhältnismässig erschwert werden – andernfalls wäre das Teilnahmerecht der Aktionäre beeinträchtigt. Der Verwaltungsrat muss gewährleisten, dass auch weniger technikaffine Aktionäre Zugang zur Plattform haben und die Bereitstellung eines kostenlosen technischen Supports – vor und während der GV – kann sinnvoll erscheinen. Dabei darf heutzutage davon ausgegangen werden, dass der Durchschnittsaktionär über einen Internetzugang sowie über die nötigen Grundkenntnisse verfügt, um an der virtuellen GV teilzunehmen. Denkbar ist ein Zugang beispielsweise mittels einer Applikation, die auf dem Computer heruntergeladen und vom Betriebssystem ausgeführt wird oder via Internet.

Form: Eine virtuelle GV kann mit Ton- und Bildübertragung durchgeführt werden. Das Gesetz schreibt jedoch kein Erfordernis der Bildübertragung vor. Daher besteht hinsichtlich der Form der Kommunikation ein gewisser Handlungsspielraum. Aufgrund des Unmittelbarkeitsprinzips muss jedoch eine hinreichende Interaktionsmöglichkeit der Teilnehmenden gewährleistet werden. Die Durchführung einer GV per E-Mail würde diesen Anforderungen nicht genügen.

Diskussionen: Um dem Rede- und Fragerecht der Aktionäre Rechnung zu tragen, ist eine fliessende Interaktionsmöglichkeit unabdingbar (z.B. Chat-Funktion). Allgemeine Grundregeln – wie sie bereits bei der herkömmlichen GV gelten – sind auch bei der virtuellen GV zu beachten. Hilfreich kann das Einsetzen von Moderatoren sowie die übersichtliche Strukturierung und Gruppierung von Traktanden und Beiträgen sein. Hinsichtlich kritischer Beiträge kann Transparenz geschaffen werden, in dem eine Anwendung gewählt wird, welche alle Beiträge speichert und einsehbar macht.

Identifikation: Es müssen technische Vorkehrungen zwecks Prüfung der Legitimation der elektronischen Teilnehmer an der virtuellen GV geschaffen werden. Namenaktionären können die Zugangsdaten mittels einer verschlüsselten E-Mail zugestellt werden. Zur Feststellung der Identität sollte jedoch ein weiteres Element zur Identifikation herangezogen werden, wie etwa die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur oder eines TAN-Verfahrens. Bei Inhabern – von auch nach der Abschaffung von Inhaberaktien – zulässigen Inhaberaktien, die ihrer Meldepflicht nachgekommen sind, ist die Identifikation analog dem Vorgehen für Namenaktionäre denkbar. Sind solche Inhaberaktionäre ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen, wird die Identifikation erschwert und darüber hinaus werden Beschlüsse der GV anfechtbar, da die Mitgliedschaftsrechte bei nicht gemeldeten Inhaberaktien ruhen.

Sicherheit: Es sind die technisch zumutbaren und vernünftigerweise zu erwartenden Massnahmen zum Schutz des Systems vor unbefugtem Eindringen sowie Verhinderung der Verfälschung des Abstimmungsergebnisses zu treffen. Eine Risikoanalyse ermöglicht es dem Verwaltungsrat, Risiken abzuschätzen und die geeigneten Massnahmen vorzukehren.

Öffentliche Beurkundung: Eine virtuelle GV ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn Beschlüsse gefällt werden, die zu beurkunden sind. Es wird den Kantonen überlassen, ob sie Beurkundungen von Willensäusserungen unter Abwesenden zulassen. Daher wird sich erst noch zeigen, ob sich hier Einschränkungen ergeben werden. Namentlich, ob etwa eine Grünung durch eine virtuelle GV ausgeschlossen wird. Wenn es hingegen nicht um die Beurkundung von Willensäusserungen, sondern um eine Sachbeurkundung (gemäss neuerer Terminologie eher Wahrnehmungsbeurkundungen) geht, sind gemäss der Botschaft zur Aktienrechtsrevision keine sachlichen Gründe ersichtlich, weshalb eine virtuelle GV unzulässig sein sollte. Ob sich die Urkundsperson zusammen mit dem Vorsitzenden an einem gemeinsamen Ort aufhalten muss, oder ob sie sich technisch dazuschalten kann, ist im Gesetzesentwurf nicht geregelt. Massgeblich wird wohl sein, ob und unter welchen Bedingungen die Urkundsperson ihren Prüfungspflichten nachkommen kann. Jedenfalls sind stets die Bestimmungen betreffend die örtliche Zuständigkeit der Urkundsperson einzuhalten.

Dementsprechend werden Urkundspersonen bei der virtuellen GV den Hergang der GV sowie die Feststellungen des Vorsitzenden protokollieren. Im Falle der Mitwirkung von abwesenden Stimmberechtigten, hat die Urkundsperson zu prüfen, ob die Anforderungen an die Verwendung elektronischer Mittel beachtet wurden. Ferner hat die Urkundsperson bei der Urkundenerstellung darauf zu achten, dass dokumentiert ist, welchen Vorgängen sie persönlich beigewohnt hat und welche ihr elektronisch übermittelt worden sind.

Technische Probleme

Treten während der GV technische Probleme auf, sodass die GV nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann, muss sie wiederholt werden. Dies betrifft allerdings lediglich technische Probleme, welche im Risikobereich der Aktiengesellschaft anzusiedeln sind. In diesem Fall ist die GV bei Auftreten von technischen Problemen zu unterbrechen und – sofern diese nicht innert nützlicher Frist behoben werden können – abzubrechen und später zu wiederholen. Dabei muss die gesetzliche Einberufungsfrist nicht beachtet und es darf ohne Weiteres ein neues Datum festgelegt werden. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass die Mehrheit der Aktionäre nicht von vornherein von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Wird demgegenüber die Traktandenliste angepasst oder ergänzt, muss erneut unter Einhaltung der massgeblichen Einberufungsbestimmungen zur GV eingeladen werden. Beschlüsse, welche die GV vor dem Auftreten der technischen Probleme gefasst hat, bleiben gültig. Sodann sind relevante technische Probleme, die bei der Durchführung der GV auftreten, zu protokollieren.

Wenn hingegen die technischen Probleme nur beim Aktionär bzw. dessen Vertreter auftreten (z.B. bei Problemen mit der eigenen Hard- oder Software), so trägt dieser das Risiko und es besteht kein Recht auf Wiederholung. Hat jedoch ein bedeutendes Telekommunikationsunternehmen flächendeckende Probleme und ist davon auszugehen, dass ein wesentlicher Teil der Aktionäre dessen Dienste beansprucht, ist der Fall anders zu beurteilen und der Verwaltungsrat kann solche Schwierigkeiten nicht ignorieren.

Fazit

Will eine Aktiengesellschaft ab dem Jahr 2023 von den Neuerungen Gebrauch machen, so sind noch in diesem Jahr die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Betreffend die Anpassung von nicht dem neuen Aktienrecht entsprechenden Statutenbestimmungen, wird eine Frist von zwei Jahren gelten.

Gerne unterstützen wir Sie bei Fragen rund um die Organisation und Durchführung der GV.