21 September 2020

The realization of the general assembly in virtual space

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For more than ten years, the revision of company law has been discussed and with it the introduction of the virtual general assembly.

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London, 2016: Jimmy Choo, eine globale Luxusmarke, führte die erste virtuelle Generalversammlung durch, und das obwohl die Möglichkeit gemäss EU-Richtlinie 2007/36/EG schon bereits seit 2009 besteht. Jimmy Choo wollte es sämtlichen Aktionären ermöglichen, an der Generalversammlung teilzunehmen, unabhängig davon, wo sie sich auf der Welt befinden. Um die gesetzlichen Anforderungen an die Generalversammlung einhalten zu können, entwickelte Jimmy Choo mit einem technischen Provider eine App, mit welcher es den Aktionären ermöglicht wurde, an der Generalversammlung online teilzunehmen.

Schweiz, 2019: Seit über zehn Jahren wird die Aktienrechtsrevision diskutiert und damit auch die Einführung der virtuellen Generalversammlung. Seit der Annahme der «Abzocker-Initiative» im Jahr 2013 ist es Aktionären von börsenkotierten Schweizer Aktiengesellschaften bereits möglich, via indirect voting, elektronisch über die Vergütungen des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates abzustimmen. Mittels indirect voting werden dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter elektronisch Vollmachten und Weisung erteilt. Damals beabsichtigten die Initianten jedoch noch nicht, dass die Aktionäre elektronisch via direct voting an der Generalversammlung abstimmen können.

Im aktuellen Entwurf zur Aktienrechtsrevision soll nun der gesetzliche Rahmen für die Durchführung virtuellen Generalversammlungen definiert werden.

 

1. Die Generalversammlung und das Prinzip der Unmittelbarkeit

Die Generalversammlung ist das oberste Organ der Aktiengesellschaft. Ihr stehen unübertragbare Kompetenzen zu. Die Aktionäre der Gesellschaft üben ihre Rechte im Rahmen der Generalversammlung aus. Wo diese aber stattzufinden hat, wird im Schweizer Recht nicht geregelt. So kann die Generalversammlung an einem beliebigen Ort durchgeführt werden. Möglich ist auch eine Durchführung im Ausland, wobei Schweizer Recht anwendbar bleibt.

Das Aktienrecht geht grundsätzlich von der Unmittelbarkeit der Generalversammlung aus. Dieses Prinzip soll sicherstellen, dass es zwischen den Aktionären und dem Verwaltungsrat zu einem gegenseitigen Informationsaustausch kommen kann. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht es funktional darum, «[…] dass die spontane und uneingeschränkte Interaktivität unter den Teilnehmern gewahrt werden soll.» So sehen einige Autoren das Unmittelbarkeitsprinzip als gefährdet an, wenn die Generalversammlungen nicht mehr die physische Anwesenheit erfordert. In der Praxis kommt es aber schon lange nicht mehr vor, dass – vor allem bei grossen Unternehmungen – alle Aktionäre physisch anwesend sind.

 

2. Voraussetzungen für die Durchführung einer virtuellen Generalversammlung

a) Statutarische Grundlage

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Generalversammlung künftig im virtuellen Raum, d.h. gänzlich ohne physischen Austragungsort, stattfinden kann, sofern diese Form der Generalversammlung in den Statuten vorgesehen ist. So muss bei bereits bestehenden Gesellschaften bevor überhaupt eine erste virtuelle Generalversammlung stattfinden kann, zuerst eine Statutenänderung durch einen öffentlich beurkundeten Beschluss während einer klassischen Generalversammlung beschlossen werden. Bei neu zugründenden Gesellschaften kann die Möglichkeit der virtuellen Generalversammlung hingegen direkt in die Gründungsstatuten aufgenommen werden.

 

b) Teilnahme an der virtuellen Generalversammlung

i) Teilnahmerechte

Das Teilnahmerecht der Aktionäre stellt die Grundvoraussetzung zur Ausübung der persönlichen Mitgliedschaftsrechte in der Generalversammlung dar. In Bezug auf die virtuelle Generalversammlung ist dem Teilnahmerecht ebenfalls Rechnung zu tragen. Dabei ist zu beachten, dass der technische Zugang zur virtuellen Generalversammlung den Teilnehmern nicht verweigert oder unverhältnismässig erschwert werden darf. Es kann in der heutigen Zeit aber davon ausgegangen werden, dass der Durchschnittsaktionär über einen Internetzugang sowie über die nötigen Grundkenntnisse verfügt, um an der virtuellen Generalversammlung teilzunehmen.

ii) Arten der Teilnahme durch die Verwendung von technischen Mitteln

Welche elektronischen Mittel für die Durchführung einer virtuellen Generalversammlung verwendet werden dürfen, legt der Gesetzgeber nicht fest. Es wird demnach dem Verwaltungsrat oder der Generalversammlung obliegen, festzulegen, welche Art von elektronischen Mitteln verwendet werden sollen, um die Teilnahme an der Generalversammlung zu ermöglichen. Insofern wird dadurch Raum für technischen Fortschritt geschaffen. Das Bundesrecht wird lediglich einige wichtige Grundvoraussetzungen an die technischen Mittel festhalten, um Rechtsunsicherheiten zu verhindern. Damit wird angestrebt, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen zuvorzukommen. Der Verwaltungsrat muss dafür sorgen, dass die Identität der Teilnehmer feststeht (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 1 E-OR), die Voten in der Generalversammlung unmittelbar übertragen werden (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 2 E-OR), jeder Teilnehmer Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 3 E-OR) und das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 4 E-OR).

Um dem Unmittelbarkeitsprinzip gerecht zu werden, ist es ferner unabdingbar, dass fliessende Interaktionsmöglichkeiten bestehen. Das Rede- und Fragerecht darf nämlich nicht eingeschränkt werden. Eine Teilnahme per E-Mail würde den Anforderungen daher nicht genügen. Hingegen wäre es möglich, die Generalversammlung telefonisch oder via Chat-Systeme durchzuführen, da kein Erfordernis des Bildes besteht. Kleine Unternehmen werden dabei wohl auf günstigere Varianten zurückgreifen müssen als grössere. Insbesondere bei grossen Unternehmen, welche eine Chat-Lösung nutzen möchten, dürfte das Risiko bestehen, dass die Diskussion unübersichtlich wird. In diesen Fällen sollte der Verwaltungsrat darum besorgt sein, dass die Traktanden und die Beiträge gruppiert und strukturiert werden, sodass sämtliche Beiträge in die Beratung einfliessen können.

 

c) Auswirkungen von technischen Problemen

Wird die Generalversammlung virtuell durchgeführt, besteht ferner das Risiko, dass während der Versammlung technische Probleme auftreten. Gemäss dem Gesetzeswortlaut von Art. 701f Abs. 1 E-OR muss die Generalversammlung in solchen Fällen zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden, wenn sie aufgrund technischer Störungen nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann. Beschlüsse, welche vor dem Auftreten der technischen Störungen gefasst wurden, behalten jedoch ihre Gültigkeit. Es darf nicht vorgebracht werden, dass die technische Störung keine Auswirkungen auf das Ergebnis gehabt hätte. Dabei ist die Frist nach Art. 700 Abs. 1 OR nicht zu beachten und es darf ohne Weiteres ein neues Datum festgelegt werden. Es muss stets darauf geachtet werden, dass die Mehrheit der Aktionäre nicht von vornherein von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Wird hingegen die Traktandenliste ergänzt oder angepasst, muss erneut unter Einhaltung der rechtlichen und statutarischen Vorschriften zur Generalversammlung eingeladen werden. Die technische Störung ist im Generalversammlungsprotokoll festzuhalten.

Nicht als technische Probleme im Sinne von Art. 701f E-OR qualifizieren Störungen, welche bei dem vom Aktionär benutzten Telekommunikationsunternehmen bestehen. Liegt die Störung jedoch bei einem der grossen Telekommunikationsunternehmen, ist davon auszugehen, dass ein wesentlicher Teil der Aktionäre von der technischen Störung betroffen sind. In diesem Falle dürfen die Schwierigkeiten nicht ignoriert werden und die Generalversammlung muss wiederholt werden.

 

d) Sicherheit

i) Technische Vorkehrungen

Die technische Sicherheit muss bei der Durchführung einer virtuellen Generalversammlung gewährleistet werden. Der Bundesrat hat jedoch darauf verzichtet, dem Verwaltungsrat genaue Vorgaben zu machen, was er zu unternehmen habe, um Cyberattacken zu unterbinden. Die Botschaft konkretisiert lediglich, der Verwaltungsrat habe das technisch zumutbare und vernünftigerweise zu erwartende zu tun, um den Risiken entgegnen zu können. Der Verwaltungsrat wird insofern eine Risikoanalyse durchführen müssen, um abschätzen zu können, welche Risiken bestehen und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten können. Danach wird er in der Lage sein, geeignete Massnahmen zur Risikoabwehr zu implementieren.

ii) Identifikation der Aktionäre

Ein weiterer Aspekt der Sicherheit beinhaltet, dass die Teilnehmer der Generalversammlung zweifelsfrei identifiziert werden müssen. Da die Aktionäre im virtuellen Raum zusammenkommen, muss ihnen auf eine sichere Art und Weise mitgeteilt werden können, wie sie an der Generalversammlung teilnehmen können. Dabei werden den Aktionären wohl Login-Daten übermittelt.

Verfügt die Gesellschaft über Namenaktionäre können die Zugangsdaten den Aktionären beispielsweise über eine verschlüsselte E-Mail übermittelt werden. Um die Identität aber zweifelsfrei feststellen zu können, sollte noch ein weiteres Element zur Identifikation hinzugezogen werden. Gewisse Autoren bringen in diesem Zusammenhang die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur ins Spiel, da die Identität von einem dritten Anbieter überprüft wird. Aus Kostengründen wird diese in der Praxis aber selten verwendet. Eine weitere Alternative könnte die Verwendung eines TAN-Verfahrens sein, mittels welchem dem Aktionär ein Code an seine Mobiltelefonnummer übermittelt wird, um die Identität überprüfen zu können.

Inhaberaktien wurden – vorbehaltlich gewisser Ausnahmen – per 1. November 2019 abgeschafft. Die Ausgabe von Inhaberaktien ist nur noch zulässig, wenn die Beteiligungspapiere der Gesellschaft an einer Börse kotiert oder die Inhaberaktien als Bucheffekten ausgestaltet sind. Gesellschaften, welche diese Voraussetzungen erfüllen, müssen bis am 30. April 2021 eine entsprechende Bemerkung im Handelsregister eintragen lassen. Am 1. Mai 2021 werden unzulässige Inhaberaktien von Gesetzes wegen in Namenaktien umgewandelt. Zulässige Inhaberaktien von nicht gemeldeten Aktionären werden innert fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes, d.h. am 1. November 2024, für nichtig erklärt.

Bei Aktionären von weiterhin zulässigen Inhaberaktien gemäss Art. 622 Abs. 1bis OR, welche ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen sind, wird die Identitätsprüfung an einer virtuellen Generalversammlung erschwert. Ferner werden die Beschlüsse der Generalversammlung, an welcher sie ihre Stimmrechte ausgeübt haben, anfechtbar. Denn schliesslich ruhen in diesen Fällen (bei nicht gemeldeten Inhaberaktien) die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre. Sind die Aktionäre der Meldepflicht nachgekommen und führt die Gesellschaft ein Verzeichnis über ihre Inhaberaktionäre, so ist die Identifikation analog dem Vorgehen für Namenaktionäre denkbar.

 

e) Möglichkeit der notariellen Beurkundung von Beschlüssen

Viele der Geschäfte, über welche die Generalversammlung Beschluss fassen kann oder muss, unterliegen der notariellen Beurkundung. So stellt sich die Frage, ob im virtuellen Raum auch öffentlich zu beurkundende Beschlüsse gefasst werden dürfen und was die Urkundsperson dabei zu beachten hat. Der Entwurf zur Aktienrechtsrevision aus dem Jahr 2007 sah vor, dass die virtuelle Generalversammlung nur zugelassen wird, wenn Beschlüsse gefällt werden, welche keiner öffentlichen Beurkundung bedürfen.

Der aktuelle Entwurf zur Aktienrechtsrevision sieht diese Einschränkung nun nicht mehr vor. Es wird den Kantonen überlassen sein, ob sie Beurkundungen von Willensäusserungen unter Abwesenden zulassen (vgl. Art. 55 SchlT ZGB). Stehen jedoch – so besagt es die Botschaft – Sachbeurkundungen an (wobei man nach neuerer Terminologie wohl eher von Wahrnehmungsbeurkundungen spricht), wie dies bei Beschlüssen der Generalversammlung die Regel ist, sind keine sachlichen Gründe ersichtlich, warum eine öffentliche Beurkundung auf dem Weg der virtuellen Generalversammlung nicht möglich sein sollte.

Künftig werden also Urkundspersonen bei der virtuellen Generalversammlung den Hergang der Generalversammlung sowie die Feststellungen des Vorsitzenden protokollieren. Wirken dabei abwesende Stimmberechtigte mit, hat die Urkundsperson zu prüfen, ob die Voraussetzungen an die Verwendung der elektronischen Mitteln eingehalten worden sind. Zudem muss die Urkundsperson bei der Erstellung der Urkunde darauf achten, dass dokumentiert ist, welchen Hergängen sie persönlich beigewohnt hat und welche ihr auf elektronischem Wege übermittelt worden sind.

Was der neue Gesetzesentwurf nicht regelt, ist die Frage, ob sich die Urkundsperson beispielsweise zusammen mit dem Vorsitzenden an einem gemeinsamen Ort aufhalten muss, oder ob es genügt, wenn sich die Urkundsperson technisch dazuschaltet. Dabei wird wohl darauf abzustellen sein, ob und unter welchen Voraussetzungen die Urkundsperson ihren Prüfungspflichten nachkommen kann.

 

f) Exkurs: Generalversammlung unter COVID-19 VO

Im Gegensatz zu den bisherigen Ausführungen ist aufgrund der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie die Durchführung einer Generalversammlung auf elektronischen Weg bereits unter Einhaltung bestimmter Sonderregelungen möglich (Art. 27 COVID-19-Verordnung 3). Gestützt darauf kann die Generalversammlung ohne statutarische Grundlage und ohne physisches Teilnahmerecht der Aktionäre/Gesellschafter/Genossenschafter/Vereinsmitglieder stattfinden. Allerdings muss ein Austragungsort bestimmt werden, an welchem ein Vorsitzender (Mitglied des obersten Leitungs-/Verwaltungsorgans), ein Protokollführer/Stimmenzähler, gegebenfalls ein Revisionsstellenvertreter und bei beurkundungspflichtigen Beschlüssen ein Notar weiterhin physisch anwesend sind. Deshalb ist weiterhin von einer physischen Restversammlung die Rede.

 

3. Fazit

Die Gesetzesrevision, wonach die virtuelle Generalversammlung zugelassen werden soll, gibt der bereits heute teilweise gelebten Praxis den entsprechenden rechtlichen Rahmen. Der Gesetzesentwurf regelt viele Punkte nicht abschliessend, um für technische Innovation Raum zu lassen. Dieser Ansatz ist grundsätzlich sinnvoll. Er wird jedoch bei der Umsetzung bzw. bei den ersten Versuchen, eine virtuelle Generalversammlung durchzuführen, zu Unsicherheiten und Unklarheiten führen. Die Kantone haben die Aufgabe, entsprechende Regeln zu schaffen. Die aktuelle Covid-19-Epidemie schafft die Möglichkeit für Gesellschaften, erste virtuelle Generalversammlungen unter den gegebenen Umständen durchzuführen und faktisch vorab zu testen. Die ausserordentliche Lage soll als Chance dienen und als solche genutzt werden, bevor der entsprechende rechtliche Rahmen geschaffen wird. Eine Plattform über die heute bereits digitale Generalversammlungen durchgeführt werden können, wird von daura betrieben (www.daura.ch).

Bei Fragen rund um (virtuelle) Generalversammlungen stehen Ihnen unsere Experten von MME gerne telefonisch oder persönlich zur Verfügung.

 

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